Smart Home wird oft nur als Spielerei betrachtet. Automatisierungen und Komfortlösungen spielen aber – neben der barrierefreien Gestaltung – für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und ältere Menschen eine entscheidende Rolle. Denn die Generationen werden immer älter, und ihre Betreuung eine immer größere Herausforderung.
Gute Planung und Analyse sowie Technologien unterstützen im Alltag und sorgen dafür, dass Menschen so lange wie möglich selbständig und sicher leben können. Und sie entlasten neben den Betroffenen auch die Angehörigen, die verstärkt für die Pflege und Betreuung verantwortlich sein werden. Diese Technologien müssen heute nicht mehr teuer sein. Sparen kann man vor allem dann, wenn bereits bei einem Neu- oder Umbau an die späteren Bedürfnisse gedacht wird.
SBC-Redakteurin Lena Schönthaler im Gespräch mit Interviewpartner Gerhard Nussbaum, dem Technischen Leiter und stv. Geschäftsführer des Kompetenznetzwerks Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I).
Smarte Planung beginnt schon bei Kleinigkeiten
Zwei Erkenntnisse aus der Recherche: Theoretisch können wir mit den Entwicklungen der heutigen Zeit unsere gesamte Umgebung steuern. Wir können die Jalousien per App oder Sensor bedienen, Fenster mit einem Regensensor versehen um sie bei Regen automatisch schließen zu lassen. Aber welche Lösungen wirklich notwendig sind, erfahren wir erst durch eine Analyse unseres Alltags. Und: Selbst Kleinigkeiten können für Menschen mit Beeinträchtigungen zur Herausforderung – aber auch zur großen Hilfestellung werden.
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Die Anforderungen bei Beeinträchtigungen sind sehr individuell. Daher rät Gerhard Nussbaum zu einer Analyse der Nutzungsgewohnheiten, um die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner auch wirklich zu kennen. Intelligente Lösungen beginnen bereits bei Kleinigkeiten: So gewinnt die Beleuchtung zunehmend an Bedeutung, oder auch die wohlüberlegte Platzierung von Steckdosen.
Für Menschen mit Beeinträchtigungen kann bereits das Bücken, um einen Stecker in die Steckdose einzustecken, sehr unangenehm sein oder sogar zu Unfällen führen. Nussbaum: „Eine praktische Lösung ist daher die Anordnung von Gebrauchssteckdosen in einer höheren Position, idealerweise unterhalb von Lichtschaltern oder auf einer Höhe von 90-120cm.“ Auf diese Weise wird das Bücken vermieden, und die Steckdosen sind bequem erreichbar für alle, unabhängig von Körpergröße und Mobilitätseinschränkungen.
Auch in der Nähe des Bettes im Schlafzimmer sollten Steckdosen strategisch platziert werden. Idealerweise mindestens zwei, um den Anschluss von Geräten wie elektrischen Betten – wenn davon Gebrauch gemacht werden muss – zu ermöglichen, wie der Experte aufmerksam macht.
Drahtlos und smart vernetzen
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Art der Elektroinstallation. Häufig werden herkömmliche Installationen vorgenommen, bei denen Lichtschalter direkt mit der Beleuchtung verbunden sind. Das heißt, bei Betätigung eines Schalters wird eine Lampe ein- und ausgeschaltet. Dies kann jedoch Nachteile mit sich bringen, insbesondere wenn eine umfassende Fernsteuerung erforderlich ist, um die Umgebung anzupassen oder zu kontrollieren. Das Nachrüsten mit fernsteuerbaren Schaltern kann teuer werden, wie Gerhard Nussbaum erklärt.
Er ergänzt: „Mit drahtlosen Systemen wie beispielsweise ‚EnOcean‘ können Lichtschalter einfach an beliebigen Stellen angebracht werden, ohne dass eine Verkabelung erforderlich ist.“ Von EnOcean gibt es nicht nur Schalter, sondern beispielsweise auch Bewegungs- und Aktivitäts-Sensoren, die einfach an jeder beliebigen Stelle angeklebt werden können.
Mit diesen Bewegungsmeldern und intelligenten Lichtschaltern, die heute auch schon eine automatische Anpassung der Beleuchtung je nach Bedarf und Tageszeit ermöglichen, wird nicht nur Energie gespart. Auch der Sicherheitsaspekt darf mit zunehmendem Alter nicht vergessen werden. So macht es beispielsweise Sinn, den nächtlichen Gang auf die Toilette nicht in der völligen Dunkelheit zu begehen. Gedimmtes Licht am Gang reduziert die Unfallgefahr – und lässt den Rest des Hauses dennoch weiterschlafen.
Grundsätzlich ist eine optimale Beleuchtung der Umgebung mit zunehmendem Alter zunehmend wichtiger für das allgemeine Wohlbefinden. Die Umsetzung eines ganzheitlichen Beleuchtungskonzepts berücksichtigt Faktoren wie den natürlichen Tagesrhythmus oder auch die Berücksichtigung altersbedingter Sehbeeinträchtigungen. Durch die gezielte Steuerung von Lichtfarben und Helligkeit können nicht nur Komfort und Atmosphäre verbessert, sondern auch medizinische Aspekte berücksichtigt werden. Ein Vorarlberger Projekt zeigte beispielsweise auf, dass eine bessere Ausleuchtung mit Lichtszenarien den Nebeneffekt hatte, dass Menschen weniger Medikamente wie z.B: Schlafmittel benötigten.
Wir haben ganz spezielle Bewegungsmuster. Wenn wir älter oder krank werden, müssen wir diese Muster oft verändern, um unsere Selbständigkeit und Lebensqualität zu erhalten. Bewegungscoach Cornelia Kilin über das Aktiv bleiben bis ins hohe Alter und warum wir unsere Lebensfreude auch im Alter erhalten sollten. => Weiterlesen
KNX: Alles überall auf einmal vernetzt
Wird ein Neubau oder eine umfangreiche Sanierung geplant, bietet eine moderne Elektroinstallation auf KNX-Basis zahlreiche Möglichkeiten zur Optimierung der Wohnumgebung. KNX ist ein sogenanntes Bussystem, das zur Datenübertragung dient. Bereits seit Jahrzehnten in der Industrie eingesetzt, stellt KNX eine zukunftssichere Technologie dar: Tausende Geräte von über 500 Herstellern gehören der KNX Association an und sind untereinander kompatibel. Sie lassen sich übergreifend steuern und automatisieren, nahtlos vernetzen.
Der Aufwand mag für diese Form der Installation höher sein – aber: Viele Smart Home-Produktlinien sind in den vergangenen Jahren vom Markt genommen worden. Im schlimmsten Fall mussten die Geräte und Lösungen komplett neu angeschafft werden. Das wird im Fall von KNX nicht passieren: Diese Lösungen wird es ewig geben. Wird ein Produkt vom Markt genommen, kann dieses einfach ersetzt werden.
Ein entscheidender Vorteil liegt darin, dass Anpassungen und Änderungen schnell und unkompliziert durch Programmierung vorgenommen werden können. Möchte man beispielsweise die Funktion eines Lichtschalters ändern oder an einem neuen Ort einen Schalter hinzufügen, können diese Anpassungen ohne aufwändige Umbaumaßnahmen umgesetzt werden, bestätigt Gerhard Nussbaum weiters. Ist die Installation einmal vorgenommen, dann sind kaum Grenzen gesetzt.
Mit intelligenten Wandschaltern, die in das System integriert sind, lassen sich die verschiedensten Funktionen im gesamten Haushalt steuern, ohne dass zusätzliche teure Einzelgeräte erforderlich sind. Dies führt zu einer optimierten Lösung für die Steuerung von Beleuchtung oder Jalousien und anderen elektrischen Geräten, ohne dass zahlreiche separate Schalter benötigt werden.
Durch KI werden diese Systeme noch smarter: Künstliche Intelligenz kann das Licht und das TV-Gerät abdrehen, Jalousien herunterfahren, wenn wir vor dem Fernseher eingeschlafen sind. Das mag trivial klingen, für Menschen mit besonderen Bedürfnissen ist dies essentiell. Bei eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten wie etwa bei Alzheimer und Demenz kann die gesamte Umgebung soweit unterstützend wirken, sodass diese Personen trotz Einschränkungen noch selbständig und sicher leben kann. Auch die familiären Strukturen werden dadurch entlastet.
Systeme zur Verbesserung für Alle – nicht nur für Alt
Diese Lösungen sind nicht nur explizit für ältere Menschen sowie jenen mit besonderen Beeinträchtigungen oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ausgerichtet. Für Gerhard Nussbauen ist dies ein falscher Ansatz, denn: Dadurch sei das Thema Altern und die damit einhergehenden Einschränkungen negativ belegt. Deshalb sei es an der Zeit, diese Produkte als „Lifestyle-Produkte“ zu sehen, die für alle Personen geeignet sind und den allgemeinen Wohnungsstandard heben.
So könnte beispielsweise eine Wohnung mit einem Bussystem nicht nur als barrierefrei gelten, sondern entspricht auch den Ansprüchen einer Multimedia-Wohnung, die ein modernes und komfortables Wohnen ermöglicht, ist Gerhard Nussbaum fest überzeugt. Barrierefreiheit ist für viele weitere Zielgruppen spannend: Etwa auch für Eltern, die mit Kinderwägen unterwegs sind.
Fazit: Raus aus der negativen Besetzung, hinein in den Komfort
Unsere Wohnsituation und Lebensqualität im Alter und bei Beeinträchtigungen hängt davon ab, wie praxisnahe und vorausschauend wir unseren Haushalt geplant und umgesetzt haben. Also auch: Inwieweit wir die unterschiedlichen Lebenszyklen miteinbezogen haben.
Die Integration von Technologie in unseren Alltag ermöglicht eine weitere Steigerung der Lebensqualität – für die Betroffenen, aber auch die pflegenden Angehörigen. Der Schlüssel dazu ist eine genaue Analyse der Lebensumstände und Nutzungsgewohnheiten.
Was sich Gerhard Nussbaum wünscht? Dass ältere Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen bei der Entwicklung von Produkten mehr berücksichtigt werden. Was als Killer-Feature auf den Markt kommt ist oft nicht barrierefrei. Ein Beispiel: Früher gab es an der Waschmaschine Knöpfe, die Bedienung konnte von blinden und sehbeeinträchtigten Menschen gut erlernt werden. Heute gibt es jedoch Touchscreens und Displays mit einer Vielzahl an Funktionen, die von Menschen mit einer Seh-Beeinträchtigung nicht mehr bedient werden können.
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