Was kommt nach dem Erdöl?
Die arabischen Emirate müssen vor etwa 150 Millionen Jahren eine „Wiege des Lebens“ gewesen sein: Zur Zeit der Dinosaurier entstand ein Großteil des heute geförderten Erdöls, Pflanzen und Lebewesen wandelten sich in einem langsamen Prozess zu schwarzem Gold – der Basis des heutigen Reichtums der Region.
Das Emirat Dubai lädt nun bis März 2022 als erstes arabisches Land zur EXPO 2020: Covid-bedingt ein Jahr später als gedacht, stellen die Länder dieser Welt nach dem Motto „Connecting Minds, Creating the Future“ ihre Ideen für Zukunftsvisionen und -technologien vor.
Angesichts der notwendigen Dekarbonisierung unserer Gesellschaft ist die Frage nach den Technologien der Zukunft eine besonders spannende – und sie wird zumindest teilweise in Dubai geführt.
Enormes Wachstum
Das Wachstum der Emirate ist beeindruckend: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte man vom Perlentauchen. Dieses Businessmodell war jedoch am Ende, als man in Asien die Zuchtperle erfand. Bis 1950 waren Dubai und Abu Dhabi noch Fischer-Dörfer, erst in den 60er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts begann der Aufstieg des Erdöls – und mit ihm der Aufstieg der Emirate. Begründet wurde diese Föderation übrigens erst 1971 durch den Zusammenschluss von sechs Emiraten. Das siebente Emirat, Ras al-Khaimah, kam 1972 dazu. Am 2. Dezember 2021 feierte die Föderation das runde 50jährige Jubiläum mit einer pompösen Feier.
Die Föderation, also die Zusammenarbeit der Emirate, ist die Basis ihres so raschen wirtschaftlichen Erfolgs: Mittlerweile stellen sie die viertgrößte Wirtschaft im Nahen Osten, in den letzten fünf Jahrzehnten haben sie sich neben Saudi-Arabien als politisches und wirtschaftliches Schwergewicht entwickelt.
Auf Grund ihrer erst so kurzen gemeinsamen Geschichte verfügen sie in vielen Bereichen über keine alten Strukturen, die sie reformieren, sanieren und transformieren müssen. Die Städte sind neu, modern aufgebaut. Dubai gilt als das weltoffenste aller Emirate, in dem heute etwa 3,5 Millionen Menschen leben – abhängig von den migrationsbedingten Schwankungen auch durch COVID. Knapp 90% der Menschen sind AusländerInnen, diese ArbeitsmigrantInnen erbringen den größten Teil der Wirtschaftsleistung. Einheimische stellen eine Minderheit im eigenen Land dar.
Die enorme Zahl an Ethnien im Land prägt das gesellschaftliche Leben: Die Sprache ist Englisch, und selbst die Verkehrsregeln sind an die multikulturellen Umstände angepasst. Pro Ampelschaltung fahren die Autos als Sicherheitsmaßnahme nur in eine Richtung und sie dauern auch länger – gewöhnlich werden ja zwei Richtungen freigeschalten.
Ein neues Businessmodell
In den Arabischen Emiraten finden sich fast 10% der weltweiten Erdölreserven, das meiste davon im reichsten Emirat der Föderation – in Abu Dhabi. Dubai profitiert zwar durch den Verbund immer noch vom Erdöl – hat aber selbst kein Vorkommen mehr.
Durch die weltweite Dekarbonisierung, also den langsamen Ausstieg aus dem Erdöl, müssen sich die Emirate neu erfinden, um diesen Reichtum auch in die Zukunft prolongieren zu können. In dieser Neu-Orientierung musste Dubai besonders schnell agieren: Während Abu Dhabi noch mehrere Jahrzehnte vom Erdöl leben kann, konnte Dubai nie auf so viele Ölreserven wie Abu Dhabi zurückgreifen. Die wenigen Offshore-Ölfelder waren etwa 2010 leer. Das Motto ist seitdem die Diversifikation: Neben dem Tourismus erfand sich das Emirat in der Rolle des Immobilien-Giganten, im Finanzplatz und im Hub von und nach Afrika.
Entlang der Küste reiht sich ein Hochhaus nach dem Anderen, mit „The Palm Jumeirah“ verdoppelte Dubai durch Sandaufschüttungen seine Küstenlänge und generierte ein Vermögen mit dem Vertrieb dieser Grundstücke. Es gibt Gerüchte, dass Dubai in den Hotels der „Palme“ Glückspiel erlauben möchte – im Islam eigentlich verboten. Wir können gespannt sein, wie der arabische Wirtschaftsraum auf diese mögliche Öffnung reagiert. Den Bau einer weiteren Palme durchkreuzte die Weltwirtschaftskrise.
Sandspielplatz für Erwachsene
Ein wenig verrückt mutet das Projekt „The World“ an, eine aus 270 Inseln geformte Weltkarte aus verdichtetem Sand vor der Küste Dubais. Umgesetzt wurden die Sandaufschüttungen übrigens von niederländischen Unternehmen mit Hilfe von GPS-Technik. Gekauft hat ‚Österreich‘ und ‚Deutschland‘ ein österreichischer Immobilienmakler, der ehemalige FPÖ-Politiker Josef Kleindienst. Die Investitionen für diese zukünftigen Tourismus-Paradiese sind sehr hoch: Selbst für Strom, Wasser, Abwasser, etc. müssen die KäuferInnen selbst sorgen. Es gibt keine Anbindung an ein öffentliches Netz. Die Inseln müssen auf Grund der Erosion mit sehr viel Aufwand Instand gehalten werden.
Der Bau von „Jumeirah“ und „The World“ war mit viel Kritik verbunden: Dieser war ein Alptraum für die natürliche Meeresflora und -fauna, erhöhte die Trübung und veränderte den natürlichen Sedimenttransport entlang der Küste. Gleichzeitig hat „Jumeirah“ aber auch Lebensraum entlang der felsigen Wellenbrecher und in den Lagunen geschaffen.
Dubai fährt nach der Pandemie nun erst wieder hoch, so muss der Tourismus erst wieder angekurbelt werden. Das Fachpersonal dafür wird wieder aus dem Ausland geholt.
Während der Welt regelmäßig neue Bauerwerke der Superlative präsentiert werden, leisten die Arbeit dahinter Menschen, die in den Emiraten nur wenig Rechte haben: Neben ArbeitsmigrantInnen aus Europa, den USA und Kanada werden für den stark ausgeprägten Immobiliensektor vorrangig junge Männer für gering qualifizierte Arbeiten aus Ländern wie Indien, Pakistan, Bangladesh und Sri Lanka angeworben. Sie leben in Hausanlagen außerhalb der Stadt, werden täglich mit dem Bus zu den Baustellen gebracht. Die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen werden seitens der ArbeiterInnen oft akzeptiert: Sie verdienen in den Emiraten trotz der widrigen Umstände mehr als zu Hause. Die Berichte der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch zeigen jedoch die Umstände, in denen die Arbeiter auf den Baustellen schuften müssen.
Größer, toller, imposanter
Als sehr junge Föderation gibt es vor Ort keine alten Strukturen – alles ist neu, modern. Es gibt daher auch keine kulturell anspruchsvollen, historischen Gebäude, wie etwa in Wien entlang der Ringstraße. Dafür gibt es fast nichts, was nicht von überall auf der Welt kopiert wurde: Ob World Trade Center, Louvre oder Aquaparks, Legoland oder Riesenrad. In den Emiraten stehen moderne Kopien davon, größer und möglichst imposanter als das Original. Sogar auf das Skifahren braucht man in Dubai nicht zu verzichten, in einer Skihalle kann bei 35 Grad Außentemperatur einen Hang heruntergewedelt werden.
Diese Spots sollen nicht nur touristische Anziehungspunkte sein, sondern auch eines signalisieren: Wir sind ein Teil der Weltbühne. Derzeit entsteht ein weiteres Mega-Projekt: Der „Dubai Creek Tower“ soll den Titel des höchsten Gebäudes der Welt auch weiterhin in Dubai halten. Dem Vernehmen nach soll das Gebäude mindestens 1.000 Meter hoch werden.
Der Weg in neue Businessmodelle ist nicht immer ganz so einfach, nicht jedes Konzept funktioniert. Papier ist geduldig, die Welt dynamisch. Es war Abu Dhabi, das Dubai mit einer Geldspritze nach der Lehman Brothers-Pleite, in der Weltwirtschaftskrise und in der Pandemie wiederholt aus der finanziellen Patsche half. Im Gegenzug hieß das höchste Gebäude der Welt übrigens nicht mehr „Burj Dubai“ (Turm von Dubai) – sondern „Burj Khalifa“ nach dem Herrscher von Abu Dhabi, Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan. Das sorgte laut einem Interviewpartner verständlicherweise nicht nur für Begeisterungsstürme in Dubai.
Die Arabischen Emirate sind trotz der Widersprüche und hinterfragbaren Businessmodelle eine Reise wert. Denn ohne Frage ist beeindruckend, mit welcher Energie und Kraft Neues geschaffen wird, um die Emirate auf ein Leben nach dem schwarzen Gold Erdöl vorzubereiten.