Eine nationale Studie der Universität Aarhus (Dänemark) zeigt: Wer arm ist, hat ein um 85 % höheres Risiko, mit potenziell ungeeigneten Medikamenten behandelt zu werden – selbst in einem Land mit kostenlosem Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Neue Daten: Soziale Ungleichheit erhöht das Risiko für Fehlmedikation
Die Studie, veröffentlicht in PLOS Medicine, analysierte Daten von über 177.000 Erwachsenen in Dänemark. Die Ergebnisse sind alarmierend: Insgesamt waren 14,7 % der Teilnehmer von potenziell unangemessener Medikation (PIM) betroffen – sie erhielten mindestens ein riskantes Medikament. Rund 12,5 % litten unter einer Unterversorgung – das bedeutet, dass ihnen notwendige Medikamente nicht verschrieben wurden. Weitere 3,1 % erhielten zu viele oder zu starke Medikamente, also eine Überversorgung.
Besonders auffällig ist, dass Personen mit geringerem Vermögen ein um 85 % erhöhtes Risiko hatten, falsch oder unangemessen behandelt zu werden – im Vergleich zu wohlhabenderen Gruppen mit vergleichbaren Krankheitsverläufen. Diese Korrelation blieb bestehen, selbst wenn gesundheitliche Faktoren herausgerechnet wurden. Die Ursache liegt also in sozialen Ungleichheiten.
Gefahr für ältere Menschen: Über- und Untermedikation als Gesundheitsrisiko
Die stärksten Zusammenhänge, die zu einer erhöhten Gefahr für potentiell unangemessene Medikation („potentially inappropriate medication“ – PIM) wurden bei Personen mit dem niedrigsten Einkommen, Bildungsstand und Vermögen festgestellt.
Vor allem ältere Menschen, und hier vor allem Frauen, sind durch diese Entwicklung besonders gefährdet. Frauen steht durch den immer noch existierenden Gender Pay Gap weniger Geld zur Verfügung als Männern – während ihres gesamten Lebens. Die Armutsgefährdung ist für Frauen im Alter deutlich höher als für Männern.
Auch nehmen ältere Menschen im Schnitt deutlich mehr Medikamente gleichzeitig ein, was das Risiko von unerwünschten Wechselwirkungen erhöht. Viele von ihnen haben zudem kognitive Einschränkungen, was es ihnen erschwert, ihre Medikation selbstständig und korrekt durchzuführen. Hinzu kommt, dass viele im Alter alleine leben, was bedeutet, dass niemand rechtzeitig bemerkt, wenn Nebenwirkungen auftreten oder Fehler in der Einnahme passieren.

Die Folge sind gesundheitliche Risiken wie Stürze, Verwirrtheit, Krankenhausaufenthalte oder der Verlust der Selbstständigkeit – und damit oft ein beschleunigter Weg in die Pflegebedürftigkeit.
Marode Kassensysteme: Ein strukturelles Problem
Die dänischen Studienergebnisse sind kein Sonderfall, sondern zeigen beispielhaft ein strukturelles Problem, das viele europäische Gesundheitssysteme betrifft. Finanzielle Engpässe, wie sie aktuell etwa in Deutschland und Österreich, offensichtlich werden, führen zu einem zunehmenden Reformdruck, bei dem oft an der falschen Stelle gespart wird. Steigende Kosten bei gleichzeitig sinkenden Leistungen belasten die Versorgungssicherheit – vor allem für vulnerable Zielgruppen.
Gleichzeitig fehlt es massiv an medizinischem Fachpersonal. Ärzt:innen und Pflegekräfte stehen unter erheblichem Zeitdruck, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Diagnosen zu ungenau gestellt und Medikamente unkritisch verschrieben werden. Die medizinische Versorgung älterer Menschen wird dadurch zum Risiko.
Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Komplexität des medizinischen Alltags: Wenn ältere Menschen mehrere Krankheiten parallel haben und Pflege brauchen, braucht es Koordination – die in überlasteten Systemen oft nicht mehr gelingt. Gerade für sozial benachteiligte Gruppen sind diese Hürden besonders hoch.
Handlungsempfehlungen: Wie können wir die Versorgung verbessern?
Um die Versorgung älterer Menschen sozial gerecht und qualitativ hochwertig zu gestalten, sind gezielte Maßnahmen notwendig. Ein erster Schritt ist die Förderung der Gesundheitskompetenz. Ältere Menschen und ihre Angehörigen brauchen Informationen, um Medikamente besser zu verstehen und Risiken zu erkennen. Es braucht insgesamt mehr Prävention und Gesundheitsförderung, um Krankheiten möglichst erst gar nicht zu fördern.
Wenn Menschen verstärkt zu Hause gepflegt werden, bieten digitale Assistenzsysteme Unterstützung: Technologien wie Erinnerungsfunktionen, E-Healthcare in medizinisch unterversorgten Regionen, smarte Medikamentenspender oder Apps zur Einnahmeunterstützung können älteren Menschen helfen, ihre Gesundheit und Medikation sicher(er) zu managen. Diese Lösungen müssen jedoch niedrigschwellig erklärt und zugänglich gemacht werden.
Die StudienautorInnen verweisen hier auf die Schlüsselrolle der Primärversorgung, also insbesondere die Rolle der Hausärzt:innen und Pflegefachkräfte: Sie sind zentrale Ansprechpartner:innen für die Medikamentenverordnung und -kontrolle. Hier braucht es mehr Zeit, Ressourcen und gezielte Schulungen. Studien haben gezeigt, dass längere Konsultationen, Kontinuität in der Beziehung zu einem Hausarzt und eine bessere Kommunikation in einer Behandlung einen Unterschied machen können.
Eine weiterer Faktor sind niedrigschwellige, soziale Unterstützungssysteme – z. B. durch die ehrenamtliche Begleitung, Besuchsdienste oder kommunale Anlaufstellen. Diese fördern nicht nur soziale Teilhabe, sondern können auch dazu beitragen, gesundheitliche Risiken frühzeitig zu erkennen.

Eine gerechte Gesundheitsversorgung – für Alle
Die dänische Studie zeigt deutlich, dass soziale Ungleichheiten tief in den Strukturen der Gesundheitsversorgung verankert sind – auch in Systemen mit eigentlich freiem Zugang. Wer älter, ärmer oder sozial isoliert ist, hat ein deutlich höheres Risiko, falsch behandelt zu werden.
Digitale Assistenzlösungen und Plattformen wie SmartBuildingsCompass.com können einen wichtigen Beitrag leisten: Durch Aufklärung, Orientierung und Vernetzung. Entscheidend ist, dass technologische Lösungen mit sozialem Gespür verbunden werden – für eine Versorgung, die nicht nur effizient, sondern auch gerecht ist.
Weiterführende Informationen:
- Vollständige Studie in PLOS Medicine: Link zur Publikation
- Artikel Pharmazeutische Zeitung

Author: Anja Herberth
Chefredakteurin