In Österreichs Pflege klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander: Die große Mehrheit (81%) möchte so lange wie möglich zu Hause leben und dort – wenn nötig – unterstützt werden. Doch der Löwenanteil der öffentlichen Mittel fließt weiterhin in stationäre Angebote, der Ausbau des ambulanten und mobilen Pflegesystems hinkt dem Bedarf nach. Auf diese Diskrepanz wies das Hilfswerk nun hin – hinterlegt mit Daten aus einer umfassenden Studie des Market Instituts.
Wunsch: Pflege zu Hause, Leistbarkeit bereitet Sorgen
Neben der Teuerung sind Gesundheit und Pflege die wichtigsten Themen, die der österreichischen Bevölkerung aktuell unter den Nägeln brennen“, so Werner Beutelmayer, Vorstand und Geschäftsführer des Market Instituts bei der Präsentation der Studie. Laut der Befragung wünschen sich sehr viele Menschen eine Betreuung zu Hause mit Unterstützung der Angehörigen und mobiler Dienste. Gleichzeitig wird Selbstbestimmung als zentraler Wert im Alter genannt. Die Daten zeigen jedoch: In der Praxis erleben Betroffene oft Fremdbestimmung, starre Strukturen und Bürokratie.
Auch die Leistbarkeit der Pflege ist ein Thema, das der Bevölkerung Sorgen macht: Nur ein Drittel der Pflegegeld-BezieherInnen geben an, dass sie sehr gut zurechtkämen. Allerdings sehen das nur 25% der Angehörigen so. Beutelmeyer erklärt: „Wir wissen, dass Menschen eher schamhaft sind bei solchen Angaben. Das Ergebnis von 66% bei den Betroffenen und 75% bei den Angehörigen, die gar nicht oder nur einigermaßen zurechtkommen, zeigt, dass wir hier ein Problem haben.“
Zentrale Ergebnisse der Studie
- Selbstbestimmung: Für 97 % sehr wichtig/wichtig, um würdevoll altern zu können. → Aber: 58 % der Pflegegeldbezieher trafen die aktuelle Unterstützungsform nicht nach eigenen Vorstellungen (Gründe: externe & familiäre Umstände, Leistbarkeit).
- Präferenz „Zuhause“: 81 % möchten im Pflegefall zu Hause betreut werden; nur 19 % bevorzugen ein Pflegeheim. Die Wunsch-Modelle (Top-Bewertungen Schulnote 1–2):
- 69 %: Angehörige + mobile Dienste
- 48 %: ausschließlich Angehörige oder ausschließlich mobile Dienste oder 24-Stunden-Betreuung
- 46 %: Betreutes Wohnen
- 18 %: Pflegeheim
- Ausbau & Leistbarkeit:
- 87 % wünschen sich mehr bedarfsgerechte mobile Dienste
- 85 %: günstigere mobile Dienste
- 87 %: Gleichbehandlung bei gleicher Pflegebedürftigkeit (Zuhause vs. Heim)
- 80 %: bessere Angebote für Angehörige
- 78 %: Erhöhung der Förderung für 24-Stunden-Betreuung
- Finanzen & Einstufung:
- Nur 34 % der Betroffenen sagen, sie kämen finanziell sehr gut zurecht; bei Angehörigen liegt der Wert nur bei 25 %.
- 92 % sorgen sich, ob gewünschte Pflege künftig leistbar ist (davon 55 % große/sehr große Sorge).
- 49 % der Pflegegeldbeziehenden fühlen sich falsch eingestuft (Angehörige: 56 %).
- Bürokratie: 82 % fordern Abbau von Bürokratie und bessere Beratung. Viele müssen parallel mit 8–10 Stellen interagieren; die Prozesse sind zersplittert.
Warum die ambulante Pflege auch ökonomisch sinnvoll ist
Die günstigste Pflege findet nun einmal zu Hause statt. Heime bleiben zwar unverzichtbar, aber ohne Stärkung der häuslichen Pflege steigen die Gesamtkosten, während die Selbstbestimmung sinkt. Die Budgetrealität erzählt das Gegenteil: Mehr als drei Viertel der öffentlichen Ausgaben landen im stationären Bereich. Die mobilen Dienste erhalten nur einen Bruchteil – obwohl dort die meisten Pflegebeziehungen stattfinden.
Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich: „Eine echte Reform würde bedeuten, dass man sich hinsetzt – und zwar Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam – denn das ist eine sehr zersplitterte Kompetenzlage im Bereich der Pflege. Und man muss dann gemeinsam intelligente und zukunftsfähige Versorgungsstrategien schnüren.“ Eines sei jedenfalls klar, so Anselm: „Die Pflege wird mehr Geld brauchen – denn die Demografie ist eindeutig. Die Ressourcen bewusst und intelligent gestalten heißt: Das Zuhause und Zwischenformen wie Betreutes Wohnen stärken.“ Es brauche nun Reformschritte, die über eine Legislaturperiode hinaus halten: “Sonst fahren wir gegen die Wand.“
Mehr Infos zur Studie des Hilfswerk Österreich:
Arbeitet die Politik in der Pflege an den Menschen vorbei?

Author: Anja Herberth
Chefredakteurin