Energiegemeinschaften in Österreich boomen. Sie helfen alternative Energien optimal zu nutzen und stärken die Verbraucher gegen die Willkür der Netzbetreiber. Blockchain-Technologie kann helfen, ihre Verwaltung transparent und einfach zu halten.
Aufmacher: eNu
Es ist die Macht des Stärkeren. Als Putin den Gashahn zudrehte, schnellten in Österreich nicht nur die Gas-, sondern auch die Strompreise in die Höhe. Aufgrund der sogenannten Merit-Order bestimmen nämlich nun die besonders teuren Gaskraftwerke den Preis an der Strombörse. Die Folge: Konsumenten wurden aus Verträgen mit Preisgarantie herausgedrängt und genötigt, neue Abmachungen mit zum Teil mehreren hundert Prozent Aufschlägen zu akzeptieren. Auch wenn VKI und AK gerade versuchen mit Hilfe der Gerichte die Energielieferanten einzubremsen: Für Betroffene bleibt ein Gefühl der Ohnmacht. Und für manche sogar eines der Existenzangst.
Energiegemeinschaften machen unabhängig
Eine Alternative können sogenannte Energiegemeinschaften sein. Sie dürfen Strom produzieren, speichern, handeln und verbrauchen – und dabei natürlich auch die Preise selbst bestimmen. Ihr Hauptzweck ist dabei nicht das Erzielen von Gewinnen, sondern das Schaffen von ökologischen und wirtschaftlichen Vorteilen für die Mitglieder.
Das Konzept ist nicht auf Strom begrenzt, sondern kann auf auf alle erneuerbaren Energieträger übertragen werden. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen der lokal beschränkten „Erneuerbare Energiegemeinschaft“ (EEG) und der innerhalb Österreichs geografisch unbeschränkten „Bürgerenergiegemeinschaft“ (BEG). Der größte Unterschied: Eine EEG darf beliebige Energie (Strom, Wärme oder Gas) aus erneuerbaren Quellen erzeugen, speichern, verbrauchen und verkaufen, eine BEG nur Strom. Sie ist dabei auch nicht auf erneuerbare Energien beschränkt.
Erneuerbare Energiegemeinschaften können aus Privatpersonen, kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs), Gemeinden oder staatlichen Einrichtungen bestehen. Einzige Bedingung: In einer Energiegemeinschaft müssen sich mindestens zwei Teilnehmer zusammenschließen. Im Strombereich dürfen sich auch unabhängige Kraftwerksbetreiber anschließen.
Einer EEG dürfen sich auch unabhängige Kraftwerksbetreiber anschließen.
Bild: Kleinwasserkraft Österreich
Erneuerbare Energiegemeinschaften sind örtlich beschränkt
Einer EEG ist es dabei auch erlaubt, die Anlagen des lokalen Netzbetreibers zu nützen, etwa das Stromnetz. Das Operationsgebiet von EEG ist immer örtlich beschränkt. Es muss im Nahbereich und innerhalb des Konzessionsgebiets eines einzelnen Netzbetreibers liegen. Im Gegensatz dazu darf eine BEG ihren Strom in der gesamten Republik in den Gebieten mehrerer Netzbetreiber verkaufen. Für sie gelten auch weniger restriktive Mitgliederregelungen. BEG dürfen aber nicht von mittleren oder großen Unternehmen kontrolliert werden.
Was als Nahbereich gilt, definiert im Stromnetz die sogenannte Netzebene. So gilt, anschaulich gesprochen, als lokale EEG eine Gemeinschaft, deren Teilnehmer über einen gemeinsamen Trafo verbunden sind. Als regionale Energiegemeinschaften gelten solche, bei denen die Teilnehmer über dasselbe Umspannwerk miteinander verbunden sind. Der lokal oder regional erzeugte Strom, der auch gleich wieder vor Ort genutzt wird, belastet das Stromnetz nur wenig. Die Nutzer profitieren davon durch niedrigere Netzkosten, Abgaben und Steuern.
Energiegemeinschaften sind offen für alle
Energiegemeinschaften sind offen für alle. Dabei spielt es keine Rolle, ob man selbst eine Photovoltaik-Anlage betreibt und einen Teil des Stromes der Gemeinschaft zur Verfügung stellen möchte. Oder ob man lediglich daran interessiert ist, sich unabhängig von den großen Stromkonzernen zu machen und die regionale Produktion von Strom zu stärken. Allerdings: Angebot und Nachfrage sollten sich in der Energiegemeinschaft ungefähr die Waage halten. Wie bei einer Photovoltaik-Anlage auch, bringt eine Energiegemeinschaft die meisten Vorteile, wenn der erzeugte Strom zeitgleich von den Teilnehmern genutzt wird. Es ist deshalb sinnvoll, Mitglieder mit möglichst unterschiedlichem Verbrauchsverhalten in der Gemeinschaft zu haben.
In der Regel sind Energiegemeinschaften als Genossenschaft oder Verein organisiert, möglich sind aber auch eine GmbH oder eine AG. Technische Vorrausetzung für die Mitgliedschaft ist ein Smartmeter. Es liefert die aktuellen Daten über Einspeisung und Verbrauch und erlaubt das sogenannte Clearing, bei dem diese beiden Daten zeitgenau einander zugeordnet werden. Das ist wichtig für die Abrechnung.
Grätzl Energie als Pionier in Wien
Die Idee der Energiegemeinschaften erhält stetig wachsenden Zulauf. Alleine in Niederösterreich gibt es bereits 68 Projekte. Aber auch in Wien findet die Idee Anhänger. Dort im 23. Bezirk gibt es seit einiger Zeit die genossenschaftlich organisierte Grätzl Energie. Ihr Motto: „Miteinander – Füreinander“. „Bei einer Gemeinschaft wie hier, die auf Genossenschaftsaspekten aufgebaut ist, geht es auch darum, soziale Strukturen zu schaffen, faire Preisstrukturen zu haben und dadurch etwas für die Mitglieder zu machen, auch für Menschen im Umfeld, die möglicherweise Schwierigkeiten mit den Energiekosten haben“, sagt Roland Kuras, Vorstand und Initiator des Projektes in einem Präsentations-Video.
Den Strom für die Grätzl Energie liefert eine Metallverarbeitungsfabrik in der Perfekta Straße. Sie hat auf dem Dach eine 200 kWp Photovoltaikanlage installiert. kWp bezeichnet die Spitzenleistung einer Solaranlage, das p steht für das englische „Peak“. Den meisten Strom nutzt die Fabrik selbst. Grätzl Energie profitiert vom Überschuss, der naturgemäß vor allem an Wochenenden anfällt. Die Gemeinschaft will weiter expandieren, sieht sich selbst auch als Vorbild für weitere Projekte. „Wir wollen pro Jahr 1000 zusätzliche kWp installieren und im nächsten Schritt dazu auch in anderen Bezirken Partner suchen“, so Energiemanagerin Michaela Turetschek.
eFriends bringt Verbraucher und Erzeuger zusammen
Für alle, die die Gründung einer Energiegemeinschaft zu komplex erscheint, haben die Macher von eFriends ein alternatives Projekt umgesetzt. Sie haben eine Art Energiegemeinschaft für alle aufgebaut. Es ist ein Marktplatz, auf dem jeder unabhängig von seinem Wohnort überschüssigen Solarstrom verkaufen oder auch kaufen kann – ohne dass dabei einer der großen Energiekonzerne involviert wäre.
Dazu hat das Unternehmen eine Technik entwickelt, die die Erzeuger- und Verbrauchsdaten im 10 Sekundentakt messen kann. Diese Daten werden auf einen eFriends-Server übertragen und über spezielle Trading-Algorithmen verarbeitet. Den Preis kann jeder Produzent selbst festlegen. Findet er keinen Abnehmer, dann kauft eFriends den Überschuss zu einem Fixpreis. Nette Idee: Es ist beispielsweise auch möglich Strom, der im Elternhaus am Land erzeugt wurde, der Tochter in Wien zu schenken.
Solarstrom gibt es aber nicht immer – dann muss Strom zugekauft werden. Dafür hat eFriends Verträge Wasserkraftwerken. Insgesamt ergibt sich daraus eine Mischkalkulation, die in etwa dem Marktpreis entspricht. Allerdings kommen auch noch einmalige Kosten für Hardware und eine monatliche Grundgebühr, sowohl für Produzenten wie auch für Verbraucher hinzu.
Blockchain vereinfacht die Verwaltung
Möglicherweise ist da die Gründung einer Energiegemeinschaft dann doch der lukrativere Ansatz. Und für alle, die sich bisher vom Verwaltungsaufwand abschrecken ließen, gibt es zudem eine neue elegante Lösung. Das Zauberwort heißt Blockchain. Die Technologie, die vor allem durch die Cyberwährung Bitcoin bekannt wurde, erlaubt es, alle „Transaktionen“ in einer fälschungssicheren Datenbank zu dokumentieren. Das erlaubt eine sichere und transparente Abrechnung, automatisch und ohne viel Aufwand. Eine solche Datenbank spart auch jede Menge Papierkram. Sie ersetzt alle sonst üblichen Verträge durch sogenannte Smart Contracts und ist zudem stets aktuell.
Eine Blockchain kann dann auch mithelfen den Eigenverbrauch einer Energiegemeinschaft zu optimieren. Einer der ersten Praxistests hierzu lief bereits vor einigen Jahren in Wien im Quartier Viertel Zwei. Die dort gegründete Energiegemeinschaft ist Teil des interaktiven Pilotprojektes Urban Pioneers Community und war bei ihrer Gründung im Jahr 2017 die erste ihrer Art in Österreich. Die BewohnerInnen des Quartiers konnten hier den durch eine PV-Anlage am Dach erzeugten Strom untereinander handeln. Dieser Strom wurde normalerweise auf die Bewohner aufgeteilt. Aber während ein Bewohner etwa auf Urlaub war, konnte er seinen Anteil in dieser Zeit auch den Nachbarn nebenan verkaufen.
Für die Umsetzung des Projektes wurden zunächst PV-Anlage und Stromzähler, später auch E-Ladestellen und Speicher mit einem speziellen Chip ausgestattet und in die Blockchain integriert. Im Dezember 2019 wurde zusätzlich ein Stromspeicher mit einer Kapazität von rund 70 kWh integriert. Das entspricht dem Tagesverbrauch von mehr als zehn Haushalten im Viertel Zwei. Er sorgt dafür, dass der Solar-Strom auch nachts genutzt werden kann und erhöht zusätzlich die Eigenverbrauchsquote.
Basierend auf den Erfahrung, die mit dem Projekt gemacht wurden, sollen schnell weitere Energiegemeinschaften dazu kommen, etwa im neuen Stadtentwicklungsgebiet Village im Dritten.