Im Interview:
Herbert Saurugg, internationaler Blackout- und Krisenvorsorge-Experte, Speaker & Präsident der Österr. Gesellschaft für Krisenvorsorge. Der Experte begleitet Behörden und Organisationen im Prozess hin zu einer höheren Krisenfitness und verbesserten Krisenvorsorge.
Mehr zu Herbert Saurugg unter https://www.saurugg.net.
Portrait/Fotocredit: Herbert Saurugg
Blackout: Warum die Gefahr derzeit steigt
Warum wir uns dem Thema widmen: In China wird Strom bereits rationiert, insbesondere energieintensive Unternehmen mussten tagelang die Produktion unterbrechen. Privathaushalte wurden gewarnt, dass die Stromversorgung instabil ist, an der Küste kam es bereits zu Stromausfällen. Auch in Indien kommt es auf Grund von historischen Tiefstständen in den Kohlelagern zu Stromabschaltungen.
In den Medien und seitens Organisationen wird auch für Europa vor einem schwierigen Winter und vor der Gefahr eines Blackouts gewarnt.
Wir widmen uns in diesem Beitrag der Frage: Warum wird die Gefahr eines Blackouts heute in Europa als hoch eingeschätzt?
Der Hunger nach Strom
Strom ist die Basis der Digitalisierung und technologischen Entwicklung. Unsere Leben sind elektrifiziert und durch Technologie geprägt: Ohne Strom wird unserem Leben, unseren Jobs im wahrsten Sinne des Wortes der Stecker gezogen. „Noch vor zehn Jahren gab es große Kraftwerksüberkapazitäten, die mittlerweile großteils abgebaut wurden“, erklärt Saurugg.
Parallel zu dieser Entwicklung findet die Energiewende statt: Unsere Energie stammt heute noch zu einem sehr hohen Anteil aus fossilen und atomaren Energiequellen. Über viele Jahrzehnte hinweg war auch völlig klar, wer diese Energie bzw. den Strom produziert und liefert: Kraftwerke planten und lieferten uns zentral die Energie, die wir brauchten.
Das ändert sich nun: Zum einen sollen die fossilen und nuklearen Kraftwerke durch ökologische und nachhaltige Energiequellen ersetzt werden. Dazu gehören Wind, Sonne und Wasser, Erdwärme und Energie aus Biomasse. Und zum anderen wird dieses System langfristig und von Grund auf massiv verändert: Jede und jeder von uns kann durch Photovoltaik-Anlagen zu einem kleinen Stromerzeuger werden. Wir können diesen Strom speichern und zu einem hohen Ausmaß für unseren Bedarf verwenden – oder wir führen diesen Strom ins Netz ab.
Folgen einer schlecht geplanten Energiewende
Ziel dieser Transformation des Energiesystems ist die nachhaltige Ausrichtung der Energieproduktion. Nun hat sich in der Planung dieser Transformation bereits vor Jahren ein großer Fehler eingeschlichen: Die Energiewende betrachtet fast nur Einzelteile und erfolgt wenig systematisch. Insbesondere Deutschland, erklärt Experte Saurugg, mache den zweiten Schritt vor dem ersten. So werden laufend Atom -und Kohlekraftwerke heruntergefahren, ohne auf der anderen Seite für ausreichend alternative Quellen zu sorgen. „Bis zum Jahresende werden in Deutschland drei Atomkraftwerke stillgelegt, drei weitere im Jahr 2022, neben einer noch viel größere Menge an Kohlekraftwerken. Diese Kraftwerke sind aber wichtig, weil sie im Gegensatz zu Wind- und Sonnenkraftwerken durchgehend oder bei Bedarf liefern können“, so Saurugg. „Es fehlen die Puffer- und Speichermöglichkeiten, um die Schwankungen ausgleichen zu können.“
Windkraftanlagen sind von der Windsituation abhängig, Photovoltaikanlagen liefern z.B. in der Nacht keinen Strom. „Die Versorgungsprobleme, die daraus resultieren, werden noch immer ignoriert. Vor allem im Winter benötigen wir für Wärmepumpen sehr viel Strom für deren Betrieb, gleichzeitig ist im Winter auch die Versorgung mit alternativen Energien schwieriger und abhängig vom Wetter.
Immer mehr Länder wollen Strom lediglich importieren – dadurch stehen wir vor einer großen Herausforderung: Wer produziert diesen Strom?“, fragt sich der Blackout-Experte.
Insbesondere, weil nun das Herunterfahren der restlichen deutschen Kohlekraftwerke nicht mehr bis 2038, sondern bereits bis 2030 angepeilt wird.
Heraufordernde Energie-Situation
Abseits davon füllt Russland zuallererst seine eigenen Gasspeicher, bevor europäische Gasspeicher im November aufgefüllt werden. Ebenso sind die Kohlelager angesichts der hohen weltweiten Nachfrage leer, in Nordrhein-Westfalen musste im Oktober bereits ein Kraftwerk mangels Kohle abgeschaltet werden. Diese Entwicklungen führen in Europa zu extrem hohen Energiepreisen und einer instabilen Energieversorgung. Die US-Bank Goldman Sachs veröffentlichte im September einen Report, der vor großflächigen Blackouts warnt.
Ein Energiemangel könnte im ersten Schritt zu Abschaltungen von industriellen Stromverbrauchern, im zweiten Schritt aber auch zu geplanten oder ungeplanten großflächigen Abschaltungen von privaten Verbrauchern führen. In China wird aktuell Strom rationiert, was wiederum massive Auswirkungen auf die Lieferketten haben wird, da sehr viele Produkte in China produziert werden. In Indien gab es erste Stromabschaltungen in mehreren Bundesstaaten, wegen zu Neige gehender Kohlevorräte könnte es weitere Maßnahmen auch für die Hauptstadtregion rund um Delhi geben.
Vorbereitung auf eine instabile Energieversorgung
ExpertInnen und Organisationen raten daher zu einer Vorbereitung vor einem „hässlichen Winter“, wie es ein italienischer Energiemanager in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg ausdrückte.
„Wir reden seit 50 Jahren über Kipp-Punkte, welche schon seit damals vorhergesagt wurden. Jetzt stehen wir wohl davor, und wir schaffen es nicht, diese Wende intelligent zu managen“, kritisiert Saurugg.
Er plädiert für einen realistischeren Zugang: „Selbstverständlich müssen wir unser Klima, unsere Welt schützen. Die engen Zeitpläne und schlecht überlegten Konzepte der Regierungen für die Energiewende sind aber nicht schaffbar. Es schafft weitere Problemstellungen, die unsere Wirtschaft parallel zur Bewältigung einer Pandemie massiv schädigt.“
Mehr Informationen finden Sie hier:
Mehr Informationen zum Thema sowie Leitfäden zur Selbsthilfe und Vorbereitung: https://www.saurugg.net/blackout/leitfaeden-zur-selbsthilfe
Informationsseite des Österr. Bundesheeres zur Blackout-Vorsorge: https://www.bundesheer.at/archiv/a2021/blackout/blackout.shtml
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