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Der Fachkräftemangel ist eine Chance für Frauen

Frauen sind immer noch in lediglich fünf Jobs gefangen: Erziehung, Büromanagement, das Gesundheitswesen, der Verkauf und die Reinigung. Es ist Zeit, das zu ändern. Ein Kommentar von Anja Herberth.

Herausgeberin Mag. (FH) Anja Herberth ist Unternehmensberaterin für Kommunikation und Marketing und mit ihrer Agentur owl lab spezialisiert auf die digitale und technologische Transformation. Sie ist überzeugt: Mit Technologien und spannenden Innovationen können die Herausforderungen unserer Zeit gelöst werden. Sie appelliert an Frauen, die beruflichen Chancen, die in diesen Sektoren warten, zu ergreifen.

Frauen, gebt Gas!

Als ich vor 30 Jahren die HTL Spengergasse besuchte, war ich eines von wenigen Mädchen in der Textiltechnik, im Zweig „Spinnerei und Weberei“ war ich in der Maturaklasse die Einzige. Nun könnte man meinen: Die Textiltechnik ist eine Nische. Ja, aber: Bei genauerer Analyse waren Frauen damals in genau fünf Sektoren tätig: Erziehung, Büromanagement, das Gesundheitswesen, der Verkauf und die Reinigung.

Und jetzt raten Sie, wie die Situation heute aussieht: Erziehung, Büromanagement, das Gesundheitswesen, der Verkauf und die Reinigung. Die Programme, um vermehrt Mädchen in die Technik und IT zu bringen, schlugen fehl. Die Herausforderung, die Berufswahl der Frauen zu verbreitern, ist trotz vieler Millionen Steuergelder gleich geblieben. 

In der Zwischenzeit ist der Fachkräftemangel akut, Unternehmen sind in Europa an Personalgrenzen gestoßen. Während unser Leben massiv von technologischen Innovationen geprägt ist, mangelt es an qualifiziertem Personal und Nachwuchs. 

Mit Anlauf an die Wand

Hier sind drei Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zu berücksichtigen:

Zum Einen sind Lehrberufe mit einer Defizitagenda besetzt. Wer die Schule nicht schafft, geht in die Lehre. Nach dem Motto: Die Schule ist dir zu schwer, dann gehst du eben in die Lehre. Diese Jobs – und das betrifft nicht nur die Technik – umweht das schulische Scheitern, anstatt eine andere, positive Geschichte zu erzählen. Denn Lehrberufe, insbesondere in der Technik und in der IT, haben heute sehr gute Karrierechancen, da Unternehmen Fachkräfte in allen Jobebenen brauchen. Diese Fehlallokation des Bildungssystems zu verändern benötigt heute sehr viele Ressourcen für gezielte Positionierungs- und Kommunikationsmaßnahmen. 

Und zum Zweiten sind wir in Europa nur wenig technikaffin. Ein Beispiel: In China absolvierten 2017 insgesamt 4,7 Mio. Studierende ein MINT-Studium (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), in der gesamten EU 1,2 Mio. Fazit: China hat 4x so viele Absolventen in MINT-Fächern wie die EU bei einer nur dreimal so großen Bevölkerung. Im Jahr 2017 waren die führenden Nationen bei MINT-Abschlüssen China mit 4,7 Mio., Indien mit 2,6 Mio. und die USA mit 568.000, mit steigender Tendenz für China und Indien. (Quelle: WKO)

Und zum Dritten hat der Frauenanteil in den Technik- und IT-Berufen immer noch Luft nach oben. Die alten Rollenbilder sind nach wie vor fest in uns verankert: In einer Studie der Fachhochschule Oberösterreich, in der mehr als hundert Schülerinnen befragt wurden, gaben neun von zehn Mädchen, die über ein Informatikstudium nachdachten, an, dass ihnen nahegelegt wurde, etwas Soziales, Kommunikatives oder Frauenspezifisches zu studieren. (Quelle: https://www.derstandard.at/)

>>Fazit: Wir Frauen bilden uns an den Bedürfnissen des Markts vorbei und wundern uns dann, warum wir zu wenig verdienen. Denn das erklärt einen Gutteil des Gender-Pay Gap: Diese fünf Jobs, in denen wir uns seit Jahrzehnten pudelwohl fühlen, sind traditionell schlecht bezahlte Jobs.<<

Woran liegt es, dass Frauen zu wenig in den MINT Fächern (Bezeichnung für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) aktiv sind? Die Hemmschwelle für Mädchen, sich für die MINT-Fächer zu interessieren, ist hoch. Es fehlt ihnen das Selbstvertrauen, die Stereotypen werden schon in den Kinderschuhen gesellschaftlich weitergegeben. Die MINT-Fächer gelten zudem als wettbewerbsintensive Themen, was noch zusätzlich Angst macht. 

Das Durchbrechen dieses Systems scheint einfacher zu sein, als es auf den ersten Blick scheint. Im März 2021 wohnte ich einer Online-Studienpräsentation bei: Mit einem simplen Spiel für Kinder namens „Robotopia“ konnte der Interessensunterschied zwischen Mädchen und Buben um 20% reduziert werden. Das Spiel geht auf die Freude am Wettbewerb ein und schafft dadurch eine positive Beeinflussung der Hemmfaktoren.

Aber was tun, wenn jetzt die Fachkräfte fehlen? 

Der Bedarf an gut qualifizierten Fachkräften wird weiter steigen: Die Herausforderungen unserer Zeit werden mit Technologie gelöst. Die Industrie 4.0, die Digitalisierung und Ökologisierung bedeuten jede Menge neuer Jobs.

Weiters kommen nun weniger geburtenstarke Generationen zum Zug – bedeutet: Der Fachkraft-Mangel wird sich durch die Pensionierung der sogenannten Baby-Boomer (hohe Geburtenrate in den Jahrgängen ab dem 2. Weltkrieg bis 1964) noch weiter verstärken.

Die Antwort kann nur heißen: Weiterbilden und Qualifizieren – für die spannenden Jobs mit Zukunft. Seitens der Unternehmen Jobs attraktiver gestalten, damit sie auch für Frauen spannend sind. Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen. Meist sind ja die Frauen immer noch in der Doppelrolle der Familienmanagerin zu finden.  

Und eine verbesserte Kommunikation: Es braucht neue Stories für Technik und IT, für die Lehre. Es sind erfüllende Jobs, die gesellschaftliche Herausforderungen lösen und spannende Themen wie die Energiewende umsetzen. Für Frauen wiederum bedeuten besser bezahlte Jobs die Unabhängigkeit von Staat und Familie. Eine Win-win-Situation also für beide Seiten.  

Anja Herberth
Author: Anja Herberth

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