Ideologie ist ein schlechter Ratgeber

Ideologien sind Leitplanken, die in die Jahre gekommen sind und dringend eine Überholung bräuchten. Gerade in einer Zeit der hohen Dynamik und Unsicherheit wird die Politik immer mehr zu einem reinen Strategiespiel: Wer sich bewegt, der verliert.

Ein Kommentar von Herausgeberin Anja Herberth

Ideologien sind Weltanschauungen, Ideen und Vorstellungen – wie man die Welt sieht oder wie man sie gerne organisiert hätte. Sie sind Leitplanken, die einmal mehr, einmal weniger das Tun von Menschen, Organisationen und Parteien beeinflussen. Diese Leitplanken sind in die Jahre gekommen und bräuchten dringend eine Überholung. Gerade in einer Zeit der hohen Dynamik und Unsicherheit wird die Politik immer mehr zu einem reinen Strategiespiel: Wer sich bewegt, der verliert.

Das Fatale daran: In diesen Bubbles werden Herausforderungen nicht mit ausreichendem Horizont und bis zu Ende durchdacht. Problemstellungen bleiben dadurch ungelöst, echte, nachhaltige Lösungen werden blockiert – etwa wenn die politische Konkurrenz Urheber dieser Vorschläge war. Als Folge bieten Parteien lediglich mangelhafte, nicht zu Ende gedachte Lösungen für immer komplexere Herausforderungen. Die Polarisierung und Spannungen zwischen Parteien, differierenden Meinungen und Haltungen nehmen zu, die Herausforderungen bleiben oder verschärfen sich. Denn wer gibt schon gerne zu, falsch gelegen zu haben? Erst wenn die Folgen (schmerzhaft) klar werden, wird zurückgerudert.

Politische Planlosigkeit

Beispiele gefällig? Während die Wirtschaft mit einem Arbeits- und Fachkräftemangel ringt, feiert die Idee der 32-Stunden-Woche bei vollem Entgelt fröhliche Urständ. Um den Menschen „ein Stücke Würde und Respekt entgegenzubringen.“ Da sich damit der Stundensatz erhöht, wären die Leistungen teurer – wir würden aber gleich viel verdienen. Ein Turbo für die Inflation, die ja bereits jetzt den Menschen massiv zusetzt. Ich nehme an, dann sollte die für die Verfassung vorgesehene Begrenzung der Inflation schlagend werden.

Die Energiewende ist ein weiteres Beispiel für nicht zu Ende gedachte Konzepte und politische Planlosigkeit: Diese bedeutet den grundlegenden Umbau der Energiewelt. Eine moderne Infrastruktur ist das Rückgrat unserer Gesellschaft und der Wirtschaft – und sollte mit Bedacht umstrukturiert werden. Ohne Energie wird uns im wahrsten Sinne des Wortes der Stecker gezogen. Inmitten einer der schwersten Energiekrisen in Deutschland Kohle- und Atomkraftwerke abzuschalten, war daher nicht nur verhaltensoriginell. In Kombination mit der Abbestellung der Gas- und Öllieferungen aus Russland wurden in Zeiten eines steigenden Stromverbrauchs laut The Pioneer 6-10% des in Deutschland produzierten Stroms aus dem Markt genommen, das Angebot dadurch verknappt und die Preise verteuert.

Und Sonne und Wind gibt’s zwar zum Nulltarif, wie die Grünen gerne betonen. Wie die aus ihnen produzierte Energie von A nach B gebracht werden soll, steht aber in den Sternen. Denn die alten Stromnetze aus dem vorigen Jahrhundert wurden für diese Belastungen nicht gebaut und sind schlicht völlig überlastet. In Österreich wird dennoch mit viel Steuergeld die dezentrale, ungeplante Stromproduktion über die privaten PV-Anlagen weiter gefördert. Ich bin gespannt, was passiert, wenn die EndkonsumentInnen ihre Anlagen nicht an das Stromnetz andocken dürfen – weil es nicht ausreichend dimensioniert ist. Kommendes Jahr finden in Österreich EU- und Nationalratswahlen statt, und sie werden sehr spannend.

Um den dezentral durch PV-Anlagen produzierten Strom auch von A nach B zu bringen, braucht es ausreichend dimensionierte Stromnetze. Bildquelle: Shutterstock
Auch die Politik braucht Transformation

Kommt es zu schweren Turbulenzen und Folgeerscheinungen, wird zurückgerudert. Je näher der Parteitag der SPÖ rückte, desto schwächer wurden die Forderungen. Und da auch der deutsche grüne Wirtschaftsminister Habeck nicht davon ausgeht, dass wir in Zeiten von Degrowth glücklich und zufrieden gemeinsam mit dem Lastenfahrrad gen Sonnenuntergang radeln, wird die deutsche Industrie nun subventioniert, um deren Abwanderung zu verhindern.

Diese Krisenmanöver erschüttern in einer Zeit der Multikrisen zusätzlich das bereits erodierte Vertrauen und das Interesse der Wählerinnen und Wähler in die Politik. Auch die Wirtschaft bräuchte Rahmenbedingungen, die Rechtssicherheit und Planbarkeit bieten. In einer Zeit der Instabilität und hohen Dynamik braucht es eine solide Vision und eine gangbare – also realistische – Strategie, um diese zu erreichen. Was es nicht braucht sind Herausforderungen, die von der Politik selbst erzeugt werden, um sie dann mit viel Steuergeld wieder zu „lösen“.

Menschen haben Angst vor der Zukunft, und insbesondere die junge Generation befürchtet, den Lebensstandard der Eltern nicht mehr halten zu können. Es fehlt die Orientierung, die positive Erzählung von der Zukunft – und damit auch die Perspektiven. Ängste in Kombination mit nicht gelösten politischen Herausforderungen und politischem Frust hinterlassen Leerstellen und damit “Einflugschneisen” für Populismus.

Fazit: Der Umbau von Systemen braucht einen systemischen Zugang, und nicht nur die Betrachtung von einzelnen Silos – und das gilt auch für politische Denk-Silos. Es braucht eine Frischzellenkur für die eingerosteten Parteistrukturen der Altparteien, und eine große Portion Realismus, viel Mut und Zusammenarbeit über die politischen und fachlichen Grenzen hinweg. Um tragfähige Lösungen aufzubauen, die das Vertrauen von Menschen und Unternehmen wieder zurückgewinnen. Eines ist jedenfalls klar: Die alten Problemlösungsstrategien und -Konzepte aus der ideologischen Mottenkiste eignen sich schon lange nicht mehr, um die Herausforderungen von heute – geschweige denn von morgen – zu lösen.

Anja Herberth
Author: Anja Herberth

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