Als erstes EU-Mitgliedsland präsentierte Österreich heute einen integrierten Netzinfrastrukturplan – kurz: ÖNIP. Dieser mit den Bundesländern und anderen Stakeholder abgestimmte Plan gibt vor, wo Infrastruktur aus- und umgebaut werden muss, damit erneuerbarer Strom sowie erneuerbare Gase (Methan und Wasserstoff) transportiert und zur Verfügung gestellt werden können. Eine Einordnung von Anja Herberth.
Die Abkürzungen sind wahrlich sperrig: ÖNIP, EAG, SUP, WAG, TAG – um nur einige zu nennen. Sie stehen für die vielen kleinen Puzzleteile, die notwendig sind, um die Energiewende strategisch sinnvoll umzusetzen. Eines dieser Teile davon wurde heute präsentiert: Der ÖNIP, der österreichische Netzinfrastrukturplan. Wir gehen auf die wichtigsten Fragen dazu ein.
Warum braucht es einen integrierten Netzinfrastrukturplan?
Die Energiewende ist eine Demokratisierung der Energieproduktion: In der Vergangenheit war klar, wer liefert – das System wurde mit sehr viel Sicherheit geführt, die Kompetenzen waren klar verteilt. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz kann in Österreich nun jede und jeder privat Strom produzieren und in das Netz einspeisen. Dafür ist das alte Stromnetz aber nicht ausgelegt und muss ausgebaut werden.
Laut ExpertInnen ist die Energiewende der größte System-Umbau auf europäischer Ebene seit dem 2. Weltkrieg. In den vergangenen Jahren wurden die kritischen Stimmen immer lauter: Für einen Systemumbau in dieser Größenordnung ist sie viel zu schlecht durchdacht – und verursacht dadurch hohe Kosten, Ineffizienzen und mehr Probleme als notwendig.
So sind die Kosten für die notwendigen Netzeingriffe immens. Für die Eingriffe, um das Netz stabil zu halten, wurden alleine in Österreich im Jahr 2023 141,6 Mio EUR ausgegeben. Dafür wird der Begriff Redispatch verwendet: Das sind die kurzfristigen Kraftwerkseinsätze, um Netzengpässe zu vermeiden und um das Netz stabil zu halten. Bedeutet: Nehmen wir an, es gäbe z.B. um die Mittagszeit – wenn Sonne scheint und der Wind weht – einen Überschuss an erneuerbarer Energie im Osten Österreichs. Er kann auf Grund fehlender Netzkapazitäten nicht in den Westen Österreichs transportiert werden. Daher kann es sein, dass dennoch Kraftwerke hochgefahren werden müssen, um den Strombedarf im Westen zu decken.
Aktuell verpufft auch die Wirkung der Förderungen und Investitionen für dezentral produzierte, erneuerbare Energien, da die Netzkapazitäten fehlen. Bedeutet: Es gibt eine bedeutende Überproduktion, die weder im Inland oder Ausland verkauft oder gespeichert werden kann. Wer sich aktuell für eine PV-Anlage interessiert, bekommt immer häufiger eine negative Rückmeldung des Energieversorgers. Daher war auch immer das Credo seitens der APG, der Austrian Power Grid: Wenn verstärkt in den Ausbau der dezentralen, erneuerbaren Energieproduktion investiert wird, muss auch gleichzeitig in die Netzinfrastruktur investiert werden. Für diese Erweiterungen wurden bis 2034 Investitionen seitens der APG von 9 Mrd. EUR veranschlagt, mit dem ÖNIP werden diese nun nochmals überarbeitet.
Entkarbonisierung, also die Energiewende weg von fossilen Kraftstoffen hin zu Erneuerbaren, bedeutet auch den Umstieg und die Integration erneuerbarer Gase (insbesondere Biomethan und Wasserstoff). Hier ist die Umwidmung von rund 1.400 km bestehender Gasleitungen für den Wasserstoff-Transport und ein Zubau von rund 300 km Leitungen geplant. Austrian Gas Grid Management-Vorstand Bernhard Painz betonte in diesem Zusammenhang, dass die Umstellung auf Wasserstoff in Unternehmen erst dann möglich ist, wenn dieser auch verfügbar ist. Weiters werden Biomethananlagen an das Gasnetz angeschlossen. Der Umbau zu einem Wasserstoff-Versorgungsnetz soll ca. 2 Mrd. EUR kosten. Der erste Baustein im Wasserstoff-Netz ist der H2Collector Ost, eine Gasleitung aus dem nördlichen Burgenland Richtung Wien und Schwechat. Sie soll 2026 fertig sein – eine sehr optimistische und enge Zeitplanung.
Diese Mammutaufgaben brauchen nicht nur eine gemeinsame Strategie: Diese Investitionen sind sehr kapitalintensiv und müssen mit großer Sorgfalt und strategischem Vorgehen vorausschauend geplant und umgesetzt werden.
Was heißt „integriert“?
Strom und Gas ergänzen einander im Energiemix. Um eine stabile und zukunftsfähige Energieversorgung sicherzustellen, braucht es eine gemeinsame Betrachtung aller Energie-Sektoren sowie entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Von der Produktion beginnend über die Netze und Speicher bis hin zum Verbrauch. Das nennt man Sektorenkopplung: Denn in der Zukunft ist es wesentlich, Systeme aufzubauen, die miteinander vernetzt sind und die mit maximaler Tragfähigkeit arbeiten.
Ausgehend vom Plan, bis 2040 CO2-neutral zu sein, wurde in einem Konsortium ein Modell entwickelt und daraus der Bedarf an Infrastruktur abgeleitet.
Welche Vorteile bietet nun dieser gemeinsame Infrastruktur-Plan?
Er bietet einen strategischen Rahmen, der mit den Stakeholdern inklusive Bundesländern abgestimmt ist und bietet eine Verbesserung der rechtlichen Situation. So erwarten sich die Organisationen eine Beschleunigung der anlagerechtlichen Verfahren. Denn der ÖNIP wurde bereits einer Strategischen Umweltprüfung unterzogen und sollte dadurch die nachgelagerten Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Wie bereits weiter oben beschrieben, sollten wir durch die Umsetzung die vorhanden erneuerbare Energie besser in den Markt integrieren und nutzen. Daher sollten sich mit der Umsetzung des ÖNIP die Redispatch-Kosten, also die Kosten für Netzstabilisierung und Engpass-Management reduzieren.
Unsere Einschätzung: Die Energiewende scheitert aktuell an alten Strukturen – in den Leitungen und Netzwerken, in den rechtlichen Regelwerken und durch zu wenig Mitnahme der EndkonsumentInnen. Der Fachkräftemangel kommt hier noch hinzu: Bei den Energieversorgern fehlen bereits heute 2.000 Fachkräfte, auf Industrieseite 12.000 Fachkräfte. Bis 2026 wird von ein Mangel von weit über 20.000 Fachkräften vorausgesagt.
Diese gesamtbetrachtete Planung ist ein wichtiges Regelwerk, um die Energiewende voranzutreiben. Denn bis dato wurde vor allem einseitig die Produktion von erneuerbaren Energien gefördert – was die Herausforderungen in den Netzen nur intensivierte.
Eine derart intensive Transformation eines Systems ist nur mit einer ganzheitlichen Planung sinnvoll zu schaffen. Ob der Plan hält bzw. ausreicht, wird sich erst in der Praxis zeigen – er wird, so wurde bei der Präsentation betont, auch regelmäßig nachgeschärft. In Projekten dieser Dimension ist dies völlig normal: Hier werden keine abgetretenen Trampelpfade, sondern Neuland betreten.
Der zeitliche Rahmen ist jedoch mehr als ambitioniert. Heuer wird in Österreich gewählt, für die ganzheitliche Umsetzung der Energiewende braucht es noch weitere Beschlussfassungen zum EIWG und EABG.
Das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (EIWG) zielt darauf ab, Unklarheiten in der bestehenden Rechtslage zu beseitigen, Lücken zu schließen sowie die gelebte Praxis und deren rechtlichen Rahmen miteinander in Einklang zu bringen. Das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) wiederum soll Fast Track-Genehmigungen für den Ausbau des Übertragungsnetzes ermöglichen. Infrastruktur-Projekte dauern oft Jahrzehnte, Einsprüche seitens Anrainer und NGOs zogen die Verfahren in die Länge. Ohne diese Beschleunigung sind die oben genannten Ziele nicht erreichbar.