Gesundheitsförderung, Prävention, Früherkennung und Stärkung der Eigenverantwortung sind wichtige Treiber für eine gute Lebensqualität auch im Alter. Es gilt, so selbständig und gesund wie möglich die Pension zu erleben. Da Frauen besonders betroffen sind: Worauf sollten sie achten, um möglichst lange gesund zu bleiben?
Wir haben dazu Univ.-Prof.in Dr.in Sabine Ludwig, MSc, MA befragt: Sie leitet das Institut für Diversität in der Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck und ist gemeinsam mit Frau Prof.in Dr.in Ilona Kickbusch die Gründerin der deutschen Sektion von „Women in Global Health.“
Warum wir uns mit diesem Thema beschäftigen:
- Die Pflege wird auf Grund des Fachkräftemangels verstärkt zu Hause stattfinden: Es gibt zu wenige Pflegeplätze, und die geburtenstarke Generation der Babyboomer geht aktuell in Pension. Und es gibt nicht genügend Pflegefachkräfte, die den hohen Bedarf am Markt decken.
- Frauen leben länger als Männer, oft sind die Partner 4-5 Jahre älter. Bedeutet: Frauen sind von dieser Entwicklung ganz besonders betroffen.
- Neben baulichen Maßnahmen, um das altersgerechte Wohnen zu ermöglichen, wollen wir mit diesem Interview auch auf die Notwendigkeit der Prävention und Eigenverantwortung hinweisen: Eine gute Lebensqualität erhalten wir im Alter nur, wenn wir möglichst lange gesund und fit bleiben.
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SBC: Frau Prof. Ludwig, Sie sind Expertin für Geschlechter- und Diversitätssensible Medizin. Welche Krankheiten sind insbesonders bei Frauen zu beobachten?
Ludwig: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Haupttodesursache für Frauen, aber auch bei Männern. Nach dem Eintritt in die Menopause steigt das Risiko für diese Erkrankungen, und das wird immer noch häufig unterschätzt. Es ist wichtig, Frauen dafür zu sensibilisieren, da wir zum Beispiel Unterschiede in der Symptomatik von Herzinfarkt sehen. Das kann Müdigkeit sein, aber auch Schmerzen im Kiefer, Oberbauchschmerzen. Hier ist nicht immer sofort klar, dass es sich um einen Herzinfarkt handelt.
Psychische und dementielle Erkrankungen sind auch ein großes Thema. Depressionen kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern, und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Wobei die vollzogenen Suizide, also die Suizide, die zum Tode führen, bei Männern wiederum höher sind als bei Frauen. Bei Frauen sehen wir jedoch häufiger Suizidversuche. Da spielt auch das Thema der Isolation und Einsamkeit eine große Rolle. Wir sehen, dass immer mehr Frauen im hohen Alter alleine leben, weil die Partner bereits verstorben sind. Männer sind ja in der Regel 4-5 Jahre älter als ihre Partnerinnen und haben eine geringere Lebenserwartung.
Bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen tritt die Arthrose bei Frauen um einiges häufiger auf als bei den Männern, ebenso wie alle Autoimmunerkrankungen wie etwa rheumatoide Arthritis. Ebenso spielt die Osteoporose eine wichtige Rolle, sie kommt bei Frauen häufiger vor.
SBC: Was sind die Risikofaktoren, und was können Frauen tun, um im Alter möglichst lange gesund zu bleiben?
Ludwig: Es gibt einige Risikofaktoren, die man im Blick haben sollte. Dazu gehören zum Beispiel Inaktivität, also keine ausreichende Bewegung, die Ernährung, aber auch Rauchen und der Alkoholkonsum. Diese können zur Entstehung von dementiellen Erkrankungen beitragen. Wir gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Demenzerkrankungen auf diese Risikofaktoren zurückzuführen sind.
Aktuell sehen wir einen weltweiten Anstieg von Diabetes-Erkrankungen im Zusammenhang mit Adipositas und Übergewicht. Hier gibt es keinen großen Unterschied zwischen Frauen und Männern in der Häufigkeit von Diabetes-Erkrankungen, aber es ist natürlich für Frauen im Alter ein großes Problem. Übergewicht und Adipositas sind grundsätzlich Risikofaktoren für chronische und somit auch Krebs-Erkrankungen. Es wird davon ausgegangen, dass rund 40% der Krebserkrankungen durch einen gesünderen Lebensstil verhindert werden könnten.
Daher ist es besonders wichtig, auf die Ernährung zu achten. Frauen greifen heute bereits häufiger zu Obst und Gemüse als Männer und ernähren sich häufiger vegetarisch, wie Daten aus den Bevölkerungsstudien zeigen. Alkohol ist für Frauen übrigens selbst in geringen Dosen schädlicher als für Männer.
Im Bereich der Prävention empfehle ich, regelmäßig die Darmkrebs- und die Brustkrebsvorsorge in Anspruch zu nehmen. Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen, dicht gefolgt vom Darmkrebs und Lungenkrebs. Es ist wichtig, dass Frauen sich schon im jungen Alter regelmäßig untersuchen lassen. Die gute Nachricht: Im Vergleich zu den Männern sind Frauen eher zu Präventionsmaßnahmen bereit und gehen öfter zur Ärztin bzw. zum Arzt als Männer.
SBC: Wie sieht es bei den Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems aus? Was ist hier zu beachten?
Ludwig: Osteoporose geht häufig mit Sturzangst einher. Insbesondere Frauen im hohen Alter haben Angst davor, zu stürzen. Das führt dann dazu, dass sie sich weniger körperlich bewegen. Das ist eine Negativspirale, da körperliche Aktivität im Alter ganz wichtig ist. Die ÄrztInnenschaft ist hier auch gefragt, wenn ältere Frauen zu Konsultationen kommen. Es ist wichtig, dass mehr auf ihre Sorgen eingegangen wird und ihnen diese Sturzangst genommen wird.
SBC: Sie meinten, dass Einsamkeit ein wichtiger Faktor ist. Zu einem gesunden Lebensstil mit ausreichend Bewegung und gesunder Ernährung gehört also auch die Pflege der sozialen Beziehungen?
Ludwig: Einsamkeit ist ein großes Thema im Alter. In den Bevölkerungsbefragungen des Robert Koch-Instituts zum Beispiel zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und dem Gesundheitszustand. Die soziale Isolation kann daher als ein Risikofaktor betrachtet werden.
SBC: Abseits der Dinge, die wir persönlich tun können, um gesünder alt zu werden: Welche Veränderungen braucht es auf gesellschaftlicher Ebene?
Ludwig: Insgesamt müssen wir viel mehr an Prävention und Gesundheitsförderung denken. Hier passiert vieles im Bereich betrieblicher Gesundheitsförderung. Es braucht aber auch vermehrt Konzepte, um die Menschen zu erreichen, die nicht mehr im Arbeitsprozess stehen. Wir müssen gesundheitsförderliche Prozesse unter anderem auch im Rahmen der Pflege mitdenken und etablieren, sodass Menschen möglichst lange zu Hause bleiben können und nicht ins Pflegeheim müssen.
Hier kommt auch die Bildung mit ins Spiel. Denn eine niedrige Bildung ist ein Risikofaktor für Demenz und viele weitere Erkrankungen. Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu schaffen ist daher ein essentieller Punkt. Wir haben beispielsweise während der COVID-Pandemie gesehen, dass Menschen mit niedriger Bildung auch mehr erkrankt waren. Dies wurde unter anderem auch auf die geringere Gesundheitskompetenz zurückgeführt. Manche Informationen wurden auch nicht übersetzt und somit nicht vermittelt.
SBC: Bleiben wir noch beim Konzept der Rehabilitation und der körperlichen Fitness. Wieviel Bewegung brauchen wir, um fit zu bleiben?
Ludwig: Körperlich aktiv zu bleiben ist ganz wichtig, körperliche Inaktivität ist ein großer Risikofaktor für Erkrankungen insbesondere auch im höheren Alter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Aktivitätsempfehlungen für die verschiedenen Altersgruppen entwickelt. Erwachsenen wird empfohlen, jede Woche mindestens 150 Minuten aktiv zu sein. (Quelle: www.who.int)
Und leider sehen wir vor allem nach Covid, dass bei den Jugendlichen die Aktivität zurückgegangen ist: Ein großer Teil erfüllt nicht die Empfehlungen der WHO. So zeigt eine aktuelle Studie, dass 85% der weiblichen Jugendlichen sich nicht ausreichend bewegen. Und was in der Jugend beginnt, setzt sich häufig auch bis ins Erwachsenenalter fort.
SBC: Neben der körperlichen Aktivität wird oft auch die kognitive Aktivität diskutiert – also das Trainieren des Gehirns, um die Leistungsfähigkeit auch im Alter zu erhalten.
Ludwig: Um die kognitiven Fähigkeiten zu erhalten, sind regelmäßig Übungen sinnvoll. Etwa Memory spielen mit den Enkelkindern, das Lösen von kniffligen Aufgaben und Rätseln, oder auch Gedichte rezitieren. Es geht darum, das Gehirn weiter zu trainieren und fit zu halten.
Wenn man alleine lebt, ist man häufig sozial isoliert. Es läuft im Hintergrund vielleicht der Fernseher, aber ansonsten hat man sehr wenig Ansprache. Dadurch ist das Gehirn weniger gefordert.
SBC: Gibt es Themen und Botschaften, die Ihnen im Zusammenhang mit dem Altern noch wichtig sind?
Ludwig: Das Thema Altersarmut ist mir noch ein wichtiges Thema, dabei ist die Pensionslücke zu erwähnen. Diese liegt in Österreich, wie Daten von Statistik Austria, zeigen, bei 42,1%:, das bedeutet, dass Frauen in Österreich eine Alterspension von im Schnitt 1.219 € und die Männer von 2.104€ brutto haben
Diese Pensionslücke ist unter anderem auch auf den immer noch existierenden Gender Pay Gap zurückzuführen, der in Österreich mit rund 18% im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr hoch ist. Gemäß den Daten des Europäischen Statistischen Bundesamtes von 2022 ist dieser nur in Estland mit rund 21% höher. Auch in Deutschland und der Schweiz ist der Gender Pay im Vergleich zu anderen Ländern hoch, in Italien liegt er hingegen bei rund 4%. Frauen steht somit weniger Einkommen zur Verfügung, dies kann unter anderem zu Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung führen wie beispielswiese bei der Zuzahlung zu Medikamenten.
SBC: Das ist problematisch, da ja auch die vermehrte Pflege zu Hause bedeutet, dass auch mehr Kosten seitens der Privathaushalte zu stemmen sind. Armut im Alter heißt auch, sich weniger Unterstützung in der Pflege leisten zu können.
Ludwig: Dieser Gender Pay Gap führt dazu, dass die Frauen insgesamt in ihrem gesamten Leben weniger Einkommen zur Verfügung haben. Die Armutsgefährdung ist für Frauen im Alter somit höher als für Männer. In Österreich sind 26% der allein lebenden Pensionistinnen armutsgefährdet, bei den Männern sind es nur 15%.
Es arbeiten weiterhin mehr Frauen in Teilzeit als Männer. Grund hierfür ist in der Regel die Betreuung der Kinder oder die Pflege von Angehörigen, Diese Reduktion der Arbeitszeit wirkt sich auf die Rente aus. Außerdem ist es immer noch häufig eher selbstverständlich, dass der Mann Vollzeit arbeiten geht und die Frau sich um die Familie kümmert.
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SBC: Sie haben für die Europäische Kommission mehrere Jahre in Peking gearbeitet, waren international aktiv. Wie geht man in Asien mit dem Thema Altern um?
Ludwig: In traditionellen Gesellschaften wie in einigen Ländern in Asien zum Beispiel leben oft noch mehrere Generationen unter einem Dach, sodass die Pflege anders abgefangen werden kann als bei uns. Wir leben oft isoliert, die Mutter bzw. die Eltern in einer eigenen Wohnung. In China zum Beispiel gehen Mütter häufig bereits 3 bis 4 Monate nach der Geburt wieder arbeiten und die Großmütter kümmern sich die ersten drei Jahre um die Kinder. Bei uns wird das in Mehrgenerationenhäuser umgesetzt, und das finde ich sehr schön. Es tut alten Menschen gut, mit Kindern Kontakt zu haben. Ich denke, dass man dieses Gemeinsame, das Menschliche in Zukunft viel mehr mitdenken muss. Also beispielsweise auch ehrenamtliche Tätigkeiten, wie das Vorlesen in der Grundschule.
In Japan gibt es zum Beispiel in den Wohn-Compounds neben Kinderbetreuungen bereits häufig auch Pflegetagesstätten. Die zu pflegenden Angehörigen werden morgens hingebracht und bekommen dort Essen, basteln und singen gemeinsam. Abends werden sie wieder abgeholt. Die Angehörigen werden dadurch entlastet.
Was auch noch bemerkenswert ist: In Asien ist Bewegung und gesunde Ernährung bei einem großen Teil der Bevölkerung gut in den Alltag integriert, so praktizieren bereits sehr früh am Morgen insbesondere ältere Menschen Tai Chi in Parks. Das hält sie unter anderem bis ins hohe Alter fit und beweglich. Auch die traditionelle chinesische Medizin ist in den Alltag integriert. Wenn man erkrankt ist, erfolgt häufig erst der Besuch bei einer Ärztin bzw. einem Arzt für traditionelle chinesische Medizin. Ernährung ist hier ein wichtiges Element bei der Therapie und wird auch dazu verwendet, um wieder gesund zu werden.
SBC: Die Ernährung ist in Asien grundsätzlich eine andere als in Europa.
Ludwig: Es wird auch viel Tee und etwas weniger kalte Getränke getrunken und mehr Gemüse und Reis gegessen. Dies ist gesundheitsförderlich. Wir können von anderen Gesellschaften viel lernen, wie wir unsere Gesundheit und Fitness erhalten.
Vielen Dank für das Interview!
Univ.-Prof.in Dr.in Sabine Ludwig, MSc, MA ist Professorin für Diversität in der Medizin und leitet das Institut für Diversität in der Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Ludwig hat im Fach Gendermedizin, medizinische Ausbildungsforschung, Frauengesundheit und Public Health an der Charité – Universitätsmedizin in Berlin promoviert und war beruflich international aktiv: Nach ihrem Studium arbeitete sie bei der Europäischen Kommission in Brüssel und Peking und bei den Vereinten Nationen im Gesundheitssektor. Nach einem sechsjährigen Aufenthalt in China arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am Robert Koch-Institut als Koordinatorin und Expertin für den Frauengesundheitsbericht für Deutschland. Weiters ist sie eine der Gründerinnen der deutschen Sektion von „Women in Global Health.“ Mehr zu Sabine Ludwig unter https://experts.i-med.ac.at/experte/sabine-ludwig/