Zuhause zurechtfinden trotz Mobilitätseinschränkungen

Unsere Gesellschaft altert, es gibt nicht genügend Pflegeplätze. Die Pflege wird vermehrt zu Hause stattfinden (müssen). Worauf wir achten sollten, um uns trotz Mobilitätseinschränkung in den eigenen vier Wänden zurechtzufinden.

Von SBC-Redakteurin Lena Schönthaler
 
Das letzte Lebensdrittel in den eigenen vier Wänden verbringen: Das ist oft der Wunsch älterer Menschen. Auf Grund des Fachkräftemangels und der fortschreitenden Alterung unserer Gesellschaft wird der Wunsch zur Notwendigkeit: In Zukunft ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir unabhängig von unseren individuellen gesundheitlichen Herausforderungen möglichst lange ein selbstständiges Leben in unserem Zuhause führen können.

Bedeutung von Barrierefreiheit steigt

Insbesondere für Personen mit Mobilitätseinschränkungen kann der Alltag und das Zurechtfinden in den eigenen vier Wänden zu einer echten Herausforderung werden. Hier kommt das Konzept des Ambient Assisted Living (AAL) ins Spiel: Innovative Ideen und Hilfsmittel, die darauf abzielen, das Wohlbefinden und die Unabhängigkeit älterer Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen zu fördern, indem deren Umgebung an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden.

Durch die Integration von intelligenten Assistenzsystemen und einer barrierefreien Gestaltung des Wohnraums können Menschen mit Mobilitätseinschränkungen unterstützt werden, ihren Alltag sicher, komfortabel und zur Stärkung ihrer Selbstständigkeit zu gestalten. In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung von AAL als Wegbereiter für eine inklusive Gesellschaft immer deutlicher: In der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein Zuhause als einen Ort der Geborgenheit und Selbstständigkeit zu erleben, unabhängig von physischen Einschränkungen.
Beispiel für ein rollstuhlgerechtes Bad von KALDEWEI (Credits: KALDEWEI)

Verbesserter Komfort für uns alle

Die Konzepte bieten nicht nur alternden Menschen sowie jenen mit Beeinträchtigungen ein möglichst uneingeschränktes und sicheres Leben. Sie erhöhen auch den Komfort von allen Bewohnerinnen und Bewohnern. Beispiele: Auch Familien mit Kinderwägen profitieren von Barrierefreiheit, Anlieferungen werden vereinfacht. Nach einem Unfall temporär außer Gefecht gesetzt, sind wir dankbar für alle Erleichterungen. Oder denken Sie an Ihr Bad oder an die Küche: Das sind die Räume, in denen viele Aktivitäten des täglichen Lebens stattfinden, und somit eine AAL-gerechte Ausstattung eine große Rolle spielt. Den Wohnraum generell nach dem Prinzip von Ambient Assisted Living (AAL) auszustatten und zu planen, ist also zum Vorteil von uns allen.

Weiterer Vorteil: Wenn diese Maßnahmen bereits im Vorhinein umgesetzt werden, sodass nachträgliche Anpassungen und damit auch Kosten bzw. mühsame Bauarbeiten erspart bleiben. Von Beginn an bei Sanierungen und Bauprojekten mitgedacht, erspart es pflegebedürftigen Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen viel Mühen, hohe Kosten und Veränderung in einer Zeit, in der einfach nur der Wunsch nach einer vertrauten Umgebung gegeben ist.

Neue Denk- und Herangehensweisen notwendig

Was es braucht, um das Leben in den eigenen vier Wänden auf die Anforderungen der entsprechenden Bedürfnisse anzupassen, ist sehr individuell und vom aktuellen Status abhängig. Oft ist das Erreichen der Wohnung nicht barrierefrei möglich aufgrund von Halbgeschossen im Stiegenhaus, fehlendem oder erst ab dem Halbparterre erreichbaren Lift. Abgesehen vom Weg zur Wohnung, der, wie eben erwähnt, oft nicht barrierefrei ist, gibt es bei der genaueren Betrachtung des Wohnraums viele Barrieren, die anfangs nicht so offensichtlich erscheinen. So sind oft unpassende Bodenbeläge, Fußbodenunebenheiten oder Türstaffeln vorhanden. Die Durchgänge sind nicht immer ganz passend, und selbst kleine Stufen können das Betreten von Balkonen und Terrassen problematisch machen.

Die potenziellen Herausforderungen sind im Alter oft größer als gedacht, wie Gerhard Nussbaum, Technischer Leiter des Kompetenznetzwerks Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I) weiß: „Achten Sie darauf, dass keine Stufen oder Schwellen vorhanden sind, etwa beim Ein- und Ausgang. Achten Sie hier auf eine maximale Stufenhöhe von nicht mehr als 1cm. Am besten ist es natürlich, wenn es gar keine gibt.“ Stufenhöhen darüber sind für Menschen mit Beeinträchtigungen und ältere Menschen u.U. eine große Herausforderung und Unfallquelle.

Spezialfall Badezimmer

Die Planung und optimale Nutzung des vorhandenen Raums ist nicht immer so einfach: So braucht es einen guten Zugang zu Dusche, Toilette und genügend Wendeplatz für Rollstuhl und Gehhilfen wie Rollatoren. Oft sind die vorhandenen Räumlichkeiten sehr klein. Um für diese Mobilitätshilfen mehr Platz zu haben, besteht eventuell die beste Lösung darin, dass Bad und Toilette kombiniert werden.

Zur Platzoptimierung und besseren Bewegungsfreiheit können Duschtüren auch entfernt und durch klappbare Türen ersetzt werden. Nussbaum: „Designlösungen, wie zum Beispiel eine ebenerdige Dusche, gibt es fix fertig zum Kaufen. Das sind normale Duschtassen, allerdings komplett ebenerdig.“ Durch die Barrierefreiheit ist die Dusche im besten Fall auch mit einem Rollstuhl befahrbar. Ein weiterer Tipp des Experten: „Achten Sie auf genügend Platz neben der Toilette, sodass der Zugang auch von der Seite erfolgen kann.“ Ebenso sei wichtig, so der Experte, dass man sich frei bewegen kann und Anhalte-Möglichkeiten wie z.B. Haltegriffe vorhanden sind.

Von der Lage her sollte dieser Raum möglichst schnell vom Schlafzimmer aus erreichbar sein. Normalerweise öffnen sich die Türen im Bad- und Toilettenbereich nach innen. Wenn möglich, empfiehlt sich eine Änderung: Denn im Notfall ist es einfacher, die Türe nach außen hin zu öffnen. Weiters ist für die Planung auch die Türbreite wichtig: Diese sollte auch für Rollstuhlfahrer/innen und im Notfall auch für Pflegebetten ausgerichtet sein. Gerhard Nussbaum: „Um mit dem Rollstuhl gut durch die Tür fahren zu können, sollte die Tür eine Mindestbreite von 90cm aufweisen.“

Lebensphasen mitplanen

Wer auch schon in jungen Jahren ganzheitlich plant, kann seinen Komfort den unterschiedlichen Lebensphasen anpassen. Eine vorausschauende Planung verursacht von Anfang an minimal zusätzliche Kosten und erspart später notwendige Umbauaufwendungen. Sind bereits Smart Home-Produkte integriert, können diese je nach Bedarf auch nachträglich auf AAL-Lösungen erweitert werden.

Ein Beispiel dafür sind Sturz-Detektoren, die die Zeit messen, die eine Person benötigt, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Sollte die Person nicht innerhalb des erwarteten Zeitrahmens ankommen, könnte dies auf einen möglichen Sturz hinweisen. Grundsätzlich gibt es bereits Konzepte, die bei Abweichungen von täglichen Routinen Alarm schlagen: Wenn täglich in der Früh der Kühlschrank geöffnet wird, um die Milch für Kaffee und Müsli herauszuholen, schlagen smarte Sensoren Alarm, wenn dies nicht in einem gewissen Zeitfenster passiert. In diesem Fall können Telefonnummern hinterlegt werden, die eine Alarmnachricht erhalten.

Experte Gerhard Nussbaum: „Planen Sie im Voraus die noch kommenden Lebensphasen mit. Das ermöglicht es Ihnen, wenn Sie im Alter oder aufgrund eines Unfalls Einschränkungen erfahren, möglichst lange und so selbständig wie nur möglich in Ihren eigenen vier Wänden zu bleiben.“

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