Extremwetter wie Hochwasser und Sturmfluten kommen immer häufiger vor – auch in Gebieten, in denen wir nicht damit rechnen. SBC-Redakteurin Susanne Karr im Interview mit dem Düsseldorfer Architekten Jan Hinnerk Meyer (J.H.M.), der mit weiteren Projektpartnern in Deutschland ein Hochwasserkompetenzzentrum initiiert. Ziel ist es, das Thema in seiner Brisanz gesellschaftlich sichtbar zu machen und Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu fördern.
Von Susanne Karr (SK)
S.K.: Sie planen ein Kompetenzzentrum für Hochwasserschutz, denn der Klimawandel führt dazu, dass extreme Situationen sich häufen.
J.H.M: Man redet immer noch von „Jahrhundert-Regen und -Hochwassern“, dabei haben wir mittlerweile jährlich damit zu tun.
Bisher wird die Dringlichkeit gerne verdrängt. Wie wollen Sie die Wissensvermittlung anlegen?
In der „Projektschmiede“, die ich mit dem Kulturmanager Dr. Hagen W. Lippe-Weißenfeld betreibe, horchen wir in gesellschaftliche Bedarfe hinein, um diese idealerweise einer Lösung zuzuführen, auch in Bezug auf Geldgeber. Das Hochwasserschutz-Kompetenzzentrum haben wir als dringenden Bedarf sondiert.
Wir müssen das Wissen in einer Weise vermitteln, dass auch Schulkinder die Zusammenhänge begreifen. Wir haben bereits zahlreiche Kontakte aus der Wissenschaft, die in diesem Kompetenzzentrum aktiv teilnehmen wollen. In diesem Netzwerk herrscht Konsens, dass etwas getan werden muss. Unter ihnen ist etwa Professor Schüttrumpf von der RWTH Aachen mit dem Lehrstuhl Wasserbau.
Wie realisieren Sie die Vermittlung? Werden zum Beispiel Schulklassen zu Workshops eingeladen?
Zum einen wollen wir in diesem Kompetenzzentrum das Wissen zum Thema Hochwasser aus Forschung und Industrie zusammenzuführen. Ein weiterer Baustein ist unserer Überzeugung nach didaktisch-edukativ. Man muss sich grundsätzlich Gedanken darüber machen, wie entsteht Klima, was bewirkt Klima und was davon beeinflusst der Mensch durch sein Verhalten und Wirken.
Wir wollen die Zusammenhänge von Klima und Starkregenereignissen, steigenden Flüsse, steigendem Grundwasser etc in einer Form aufbereiten, dass sogar Grundschulkinder sofort Zugang haben und in diese Themen eintauchen können. Ein Kind muss erfahren, was es als Bestandteil einer Gesellschaft dazu beitragen kann, dass Dinge besser werden oder wenigstens weniger schlimm.
Den Menschen ihr Einwirken auf das Klima schon in jungen Jahren beizubringen, halte ich für extrem wichtig. Wir haben manchmal die Haltung: Was kann der Einzelne schon bewirken? Aber wenn jeder Einzelne das Richtige tut, dann ist das eine Riesenkraft, die positiven Einfluss hat.
Ein solches Konzept werden wir mit Profis ausarbeiten, die zum Beispiel auch Museen beraten oder ganze Ausstellungskonzeptionen erstellen. Auch da gibt es ein Netzwerk, das wir an der Stelle einbinden.
Wer wird für dieses groß angelegte Kompetenzzentrum zuständig sein?
Die Frage ist: Wäre das eine Bundeseinrichtung? Oder wäre das eine Landeseinrichtung von NRW (Nordrhein-Westfalen)? Oder wäre das vielleicht sogar, was noch sinnvoller wäre, eine europäische Einrichtung? Daran hängen Entscheidungszyklen, sprich Geldgeber. Und so gut es der Gesellschaft gelingt, dieses Thema hoch zu hängen, wird es auch Gelder von Bund und Ländern geben, da die Notwendigkeit massiv besteht.
Wir wollen im ersten Schritt sensibilisieren. Daher ist Medienarbeit extrem wichtig, um die Gesellschaft zu erreichen. Es ist Zeit, endlich aus den vergangenen Schadensereignissen zu lernen und aktiv zu werden. Politik, Verwaltung und Gesellschaft sind leider träge. Meist muss erst ein paar Mal etwas Schlimmes passieren, mit Heimatlosen, die ihre Wohnhäuser verloren haben, oder gar Toten, bevor man reagiert.
Zu unserem Team gehört auch der ehemalige Landesbranddirektor und Leiter der Feuerwehr Berlins und des Technischen Hilfswerkes, Albrecht Brömme, der auch medial aktiv ist. Er hat die Aufarbeitung der Großschäden für die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gemacht, ist ein absoluter Experte. Er setzt sich auch stark für die Verbesserung des Katastrophenschutzes ein – also für den Fall, wenn bereits etwas passiert ist. Von ihm stammt der aufrüttelnde Artikel „Hochwasserdemenz“.
Ein vielsagender Titel – was bedeutet er?
In dem Begriff „Hochwasserdemenz“ steckt einiges drin. Wir haben die Katastrophe im Ahrtal noch im Hinterkopf und die Bilder tauchen hier und da wieder auf. Doch obwohl der zeitliche Abstand gering ist, sind diese Dinge schnell wieder vergessen. Deshalb ist es so wichtig, das Thema immer wieder über die Medien zu spielen. Um klarzumachen: Stopp, das ist kein Jahrhunderterreignis gewesen! Das wird uns jährlich passieren.
Man möchte das Leid wohl schnell vergessen und die Katastrophe als Sonderfall sehen. Was kann man den Menschen vermitteln, was sie tun können? Denn dieser Verdrängungsmechanismus ist Resultat einer gefühlten Hilflosigkeit, wenn man glaubt, man kann als Einzelperson ohnehin nichts machen, und es entsteht eine Art Schicksalsergebenheit.
Die Erlebnisse sind so schrecklich, dass man sie einfach verdrängen will. Und die Politik agiert erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Dann sind auch plötzlich Gelder da.
Grundsätzlich geht es um die Bodenversiegelung und darum, klug zu sein und immer nachzufragen: Wie macht man etwas sinnvoll? Also: Wie wächst eine Stadt sinnvoll? Wie wächst ein Dorf sinnvoll? Man darfnicht mutwillig zu schnell zu viele Flächen als zukünftiges Bauland ausweisen. Mehr in die Höhe zu bauen muss eine ernsthafte Überlegung sein, wenn eine Fläche bereits versiegelt ist.
Bei der Höherbebauung entstehen häufig Diskussionen. Viele sagen: „Das passt nicht ins Ortsbild!“Solche Standpunkte begünstigen weitere Bodenversiegelung.
Die Frage stellt sich gar nicht mehr, ob man irgendeiner Optik wegen nicht höher bauen soll. Für das Klima ist es nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf. Man muss jetzt etwas tun.
Gleichzeitig gilt es, mehr über freiwerdende Immobilien, Nachnutzung, Aufstockungen, Erweiterungen, Ergänzungsbauten nachzudenken, anstatt fortzuschreiten in Neubaugebiete. Falls kein Weg an Neubaugebieten vorbeiführt, kommt die Frage nach der Bebauung dieser Flächen ins Spiel. Sind diese Flächen Frischluftschneisen? Sind die Flächen möglicherweise Entspannungsgebiete für überlaufende Flüsse? Daraufhin muss man Bauweisen anpassen.
Meine Gedanken sind immer möglichst weit vorne im Prozess, da man dort noch viel beeinflussen kann. Je weiter hinten man im Prozess angreift, desto mehr ist man schon Realitäten ausgesetzt. Man kann das Schlimmste vielleicht gerade noch verhindern, aber nicht mehr strategisch klug gestalten.
Sie haben darauf hingewiesen, dass man Überschwemmungsgebiete einplanen muss. Was wäre in einem solchen Gebiet sonst noch möglich? Wie stellt man sich das vor?
Die Überlegung muss ein, wie man diese Entspannungsflächen, die am Ende Grünflächen sind, durch klugen Deichbau wieder möglich machen kann.
Entstehen dort dann Parks, oder mögliche Orte für Sportanlagen und Sonstiges?
Es können landwirtschaftsgenutzte Flächen oder Erholungsgebiete sein. Sportflächen sind möglich, wenn sie nicht zu stark bebaut sind, mit Umkleiden und Hallen. Geeignet sind Outdoor-Aktivitäten, z.B. Mountainbike-Strecken. Wenn zweimal im Jahr das Hochwasser darüber geht, dann ist das kein Problem.
Und was halten Sie von der Idee der Schwammstadt? Als dass man versucht, das Wasser mehr abzuleiten. (Hinweis: Städtebauliches Konzept, möglichst viel Regen- und Oberflächenwasser vor Ort zu sammeln und zu speichern, anstatt es zu kanalisieren und abzuleiten). Das gibt es ja in Skandinavien öfter, und auch hier bei Stadterweiterungsprojekten wie der Seestadt Aspern (bei Wien). Wie schätzen Sie das Potenzial ein? Oder ist das nur ein Buzzword?
Eine schwierige Frage. Eigentlich muss man versuchen, das Wasser zu erwischen, bevor es eine Stadt erreicht. Und wenn es die Stadt bereits durchströmt, schauen, wohin man das Wasser schnell ableiten kann.Meine Überlegungen beziehen sich auf die Entspannungsflächen, die sich nicht innerhalb von Städten und Dörfern befinden, sondern davor und dahinter. Das sind diese grünen Zwischenstücke.
Wenn man analysiert, welche Städte bei den Überschwemmungen im Ahrtal betroffen waren, kommt die Frage auf: Wie will man sie nach all diesen jahrhundertelangen Entwicklungen hochwassertauglich machen? Das Entspannungsgebiet im Falle von Hochwasser sind dort Keller und Erdgeschossflächen. So kann man selbstverständlich nicht argumentieren, aber de facto wäre es momentan so: Wenn das Hochwasser wiederkommt, sind Keller und Erdgeschosse voll.
Was kann man adhoc tun, um so einen Fall zu verhindern?
Es wird immer schwieriger, je mehr man sich in Tälern befindet. Gefragt sind Experten und Expertinnen, zum Beispiel von der RWTH Aachen mit ihrem Lehrstuhl und Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft. Sie geben weltweit Beratungen und Analysen. Nur in Deutschland hängen wir hinten dran.
Woran liegt das?
Es geht auch hier um Partikularinteressen und Bequemlichkeit. Diese schließen das große Denken aus und führen nachher von einer Katastrophe in die nächste.
Was würden Sie dagegen vorschlagen?
Grundsätzlich ist die Deich-Infrastruktur gesellschaftliches Allgemeingut, das über Kommunen, Länder und Bund, quasi treuhänderisch, verwaltet wird. So gesehen muss es eine ganz hochgehängte Aufgabe von Bund und Ländern sein, sicherzustellen, dass Deiche funktionieren.
Man muss alle bestehenden Deiche in eine Bestandsaufnahme führen und bewerten, nach Kategorien wie „Leib und Leben in Gefahr“, „Folgeschäden“ etc. Ein solches Monitoring macht sichtbar, dass man endlich Gelder bereitstellen muss und nach einer guten Planung Deiche saniert.
Gibt es aktuell kein Verzeichnis dazu, wie die Qualität von verschiedenen Deichen jetzt zu bewerten ist?
Ein steuerndes Organ, das für ein übergeordnetes Kataster mit einer Bestandsaufnahme über Deicheverantwortlich ist, gibt es nicht. Das ist aber eine zwingende Notwendigkeit.
Hier geht es wieder um ein Gesamtbild. Wir dürfen nicht kleinteilig denken, nicht kommunal, nicht aufLänderebene, sondern übergeordnet im großen Plan, wie man mit der Aufgabenstellung Wasserentspannungsflächen und Deichsicherungen umgeht. Hier schließt sich für mich der Kreis. Manbraucht ein Zentrum, in dem diese Punkte bedarfsgerecht, kindgerecht, verwaltungsgerecht, einfamilienhausbauergerecht aufgearbeitet sind, wo man sich die Informationen holen kann.
So ein Zentrum gibt es bis dato nicht?
Obwohl einzelne Initiativen bestehen, gibt es derzeit keinen zentralen Ort. In Köln ist nach den Rhein-Hochwassern in der Innenstadt ein Hochwasserkompetenzzentrum entstanden. Man hat sich zusammengetan, um zu beraten, was man tun kann, um Wassereinbrüche zu verhindern. Dieser Verein hat kein örtliches Zuhause und ist interessiert, all sein Wissen in ein richtig großes Kompetenzzentrum einzubringen. Der Verein gehört zum Kreis der Partner, die sich schon klar zum Hochwasserkompetenzzentrum committet haben. Als Projektschmiede sind wir Initiatoren für etwas, was gesellschaftlich eine echte Notwendigkeit ist.
Eine Frage zur Wortwahl, die Sie gerne verwenden wollen. Sprechen Sie vom Klimanotstand, von der Klimakrise oder vom Klimawandel? Wie würden Sie das am liebsten vermitteln?
So wie ich es vorher schon sagte, “Klima fünf nach zwölf”. Wir haben keine Zeit mehr zum Debattieren. Jede Zeit, die wir verlieren, macht es schlimmer. Das heißt, es braucht jetzt zügiges Handeln, maximal kluges Agieren.
International zusammenzuarbeiten wäre extrem interessant. Das Thema betrifft weltweit jedes Land, undirgendwo müssen wir anfangen. Man könnte sich europaweit vernetzen, parallel forschen, agieren und Öffentlichkeit erreichen. Dann kommen die Signale bei der Politik in aller Vehemenz an, weil das Thema mehrheitlich gesellschaftlich getragen ist.
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