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Negativpreise bei Strom: Die Folgen für KundInnen und die Energiewirtschaft

Negative Strompreise: Was bedeuten sie für uns KonsumentInnen und welche Folgen haben sie für die Energiewirtschaft? Ein Energieversorger warnt: „Negative Strompreise bedrohen die Energiewende.“

Während viele Haushalte dieser Tage eine hohe Energie-Jahresabrechnung erhalten, geht ein Begriff durch die sozialen Medien: Negative Strompreise. Eigentlich ein Widerspruch in sich, oder? Sollte ein Produkt, eine Leistung nicht auch einen Wert haben?

In Österreich gab es dazu den Aufschrei eines Betreibers: Das KWG Kraftwerk Glatzing Rüstorf ist ein kleiner Stromversorger aus Oberösterreich. KWG-Geschäftsführer Peter J. Zehetner warnt: „Negative Strompreise bedrohen die Energiewende.“ 

Wir haben uns das Thema näher angesehen und Peter J. Zehetner zum Interview gebeten.

Im Interview: Peter J. Zehetner, Geschäftsführer des Energieversorgers KWG (Fotocredit: KWG)
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SBC: Herr Zehetner, Sie haben in einer Pressemeldung vor einer Gefährdung der Energiewende durch negative Strompreise gewarnt. Das ist kein neues Phänomen, warum also jetzt diese emotionale Stellungnahme?

Zehetner: Wir haben natürlich auch im heurigen Jahr mit verstärkt negativen Strompreisen speziell im Sommer ab etwa Juni gerechnet.  Das kennen wir vereinzelt aus den Vorjahren. Was uns dann doch ein bisschen überrascht hat, dass sie schon auch im März und im Laufe des Aprils sehr häufig aufgetreten sind. Das ist schon ungewöhnlich.

Wir haben unsere in den letzten Wochen gewundert, warum Energierechtsexperten und die Energieversorger nichts dazu sagen. Das ist hat uns stark an das Jahr 2021 erinnert. Damals sind im 4. Quartal die Preise sprunghaft angestiegen, das war damals eine sehr ungewöhnliche Entwicklung. Der Anstieg hat sich 2022 fortgesetzt, sodass die Energiewirtschaft fast zusammengebrochen ist. Hier wurde auch monatelange nur sehr wenig dazu kommentiert.

Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass jemand darauf aufmerksam macht: Hier stimmt etwas nicht. Negativpreise sind nicht normal.

SBC: Negativpreise auf der einen Seite, extrem hohe Preise auf der anderen Seite. Das deutet auf eine hohe Volatilität hin. Was passiert, wenn es negative Strompreise gibt? Was bedeutet diese Volatilität für sie als Energieversorger?

Zehetner: Für uns als Energieversorgungsunternehmen sind diese extremen Schwankungen tatsächlich sehr, sehr schwierig und am Ende des Tages auch gefährlich. Weil auf der einen Seite kann ich mich natürlich gegen diese Schwankungen zu einem gewissen Ausmaß und einem bestimmten Zeitraum absichern.

Aber ich gerate natürlich dann schneller unter Druck, wenn die Preise schnell fallen, wie es in den letzten Monaten der Fall war. Konsumentinnen und Konsumenten haben kein Verständnis dafür, warum wir unsere Kundenpreise nicht einfach senken. Der Grund ist einfach: Wir haben unsere Preise abgesichert haben und sind daran gebunden. 

Würden wir diese Absicherungen nicht machen, dann würden wir uns auf der anderen Seite bei Preissteigerungen in eine Situation wie damals 2022 begeben. Damals haben uns diese steigenden Preise negativ getroffen. Das heißt, es war sehr schwierig, auf diese Preisschwankungen zu reagieren. Die Energiewirtschaft denkt normalerweise in Jahrzehnten. Kraftwerke, der Stromhandel und das Zusammenspiel der Teilnehmer am Markt: Das sind ja im Grunde alles sehr langfristige Themen.

Wenn man mit Schwankungen im Hunderte-Prozente-Bereich konfrontiert ist, die nicht nur einmal, in wenigen Wochen oder Monaten auftreten, sondern auch dann schon einmal täglich auftreten, dann ist das für die Energieversorgung sehr schlecht. Diese Schwankungen kann man bei einem Bitcoin-Kurs akzeptieren, aber für die Energieversorgung ist das nicht gesund.  Diese kurzfristigen Schwankungen werden immer mehr. Aus unserer Sicht gibt es hier die Gefahr, dass wir es irgendwann nicht mehr beherrschen.

>> Diese extremen Preis-Schwankungen nach oben und ins Negative sind einfach ein Zeichen, dass der Markt ein Problem hat und er im jetzigen Design nicht mehr funktioniert.<<

Negative Strompreise

Die negativen Strompreise kommen auf Grund des massiven Zubaus von Erneuerbaren-Leistung zustande. Jede und jeder kann Teil der Energiewende werden und Strom produzieren – und diesen dann in das Stromnetz verkaufen. Daraus entsteht ein Überschuss insbesondere in den Mittagsstunden, der weder genutzt noch regional oder international verkauft werden kann. Und aus diesem Überschuss entstehen die „negativen Strompreise.“

Negative Preise sind lediglich für EndkonsumentInnen mit flexiblen Stromtarifen attraktiv, da niemand auf die Idee käme, in eine Strom-Produktionsanlage zu investieren, um die Erzeugung dann zu verschenken. Mittel- bis langfristig ist er für alle Marktteilnehmer ein Verlustgeschäft, da diese negativen Preise in Form von z.B. Risikoaufschlägen allen Marktteilnehmern aufgeschlagen werden. Denn kein Unternehmen kann mit negativen Preisen überleben.

Werden die Preise als Subventionen oder Umlagen sozialisiert – also von uns allen getragen – ist dies ein Grund für den ungeordneten Zubau. Denn in diesem Fall hätten die Anlagenbetreiber eine Abnahmesicherheit und gehen ohne Risiko in den Markt. Am Ende wird ein Produkt erzeugt und bezahlt, wofür aber zu Zeiten des Überschusses kein Bedarf besteht. Die Preise für planbare, sichere Energie fallen aber nicht – und diese ist für Unternehmen essentiell. Hier würde ein Teil dieser „negativen Preise“ aufgeschlagen werden, was den Strom teurer macht.

Wie eine Recherche zeigt, sind die aktuellen negativen Strompreise in Österreich auf eine Kombination von sehr viel Erzeugung durch Windkraft und Photovoltaik zurückzuführen – und zusätzlich ist etwa die Hälfte der Pumpspeicherkapazität nicht verfügbar. Als Gründe werden seitens Experten technische Ausfälle bzw. Wartungen genannt.

SBC: Welche Gegenmaßnahmen würden ihrer Meinung nach notwendig sein?

Zehetner: Diese extremen Preis-Schwankungen nach oben und ins Negative sind einfach ein Zeichen, dass der Markt ein Problem hat und er im jetzigen Design nicht mehr funktioniert. Man müsste versuchen, diese Schwankungen auch künstlich zu begrenzen. Mittel- bis langfristig braucht es weitere Maßnahmen.

SBC: Die beispielswiese sein könnten?

Zehetner: Mehr Speicher würden einen großen Beitrag leisten. Seit vielen Jahren spricht man darüber und wie groß deren Rolle in der Energiewende ist. Aber de facto sind wir sehr vielen Jahren keinen einzigen Schritt weitergekommen.

Auch wir haben in den letzten Jahren sehr viele Photovoltaikanlagen errichtet. Aktuell konzentrieren uns nun auf den Aufbau von Speichern. Es ist aber unglaublich schwer, zu Angeboten und Preisen dafür zu kommen, die überhaupt an Investitionen denken lassen. Wenn man dann um eine Förderung ansucht, dann wird man hängen gelassen. In unserem konkreten Fall hat es geheißen, dass maximal 2 Standorte pro Unternehmen gefördert werden. Das ist selbst für uns als kleines Unternehmen ein Tropfen auf den heißen Stein.

Welche konkreten Forderungen gibt es von Ihrer Seite, damit die Energiewende nicht zum Erliegen kommt?

Zehetner: Wir sollten Speicher viel intensiver fördern als Photovoltaik-Anlagen und Windkraft. Die Preise für PV-Anlagen haben sich zudem entspannt, meines Erachtens nach braucht es dafür gar keine Förderungen.

Ein weiteres zentrales Thema ist der Stromnetzausbau. Die APG (Anmerkung Austrian Power Grid) investiert 9 Milliarden in den Ausbau des überregionalen Stromnetzes. Hier sind die Investitionen der regionalen Energieversorger aber noch nicht mitgerechnet, auch wir müssen das Netz ausbauen.

Aber das Ganze muss ja jemand finanzieren. Wenn ich heute 20, 30 Millionen Euro in unser kleines Stromnetz investieren soll, stehe ich vor Herausforderungen. Ich habe das Geld ja nicht am Konto liegen. Die Banken geben es aber auch nicht einfach so her, vor allem weil sie Stromleitungen nicht als Besicherung anerkennen. 

>> Wenn ich heute 20, 30 Millionen Euro in unser kleines Stromnetz investieren soll, stehe ich vor Herausforderungen. Ich habe das Geld ja nicht am Konto liegen. Die Banken geben es aber auch nicht einfach so her, vor allem weil sie Stromleitungen nicht als Besicherung anerkennen. <<

Wir haben diese Herausforderung in den letzten Wochen intensiv mit der E-Control (Anmerkung: Der österr., unabhängigen Strom- und Gas-Regulierungsbehörde), mit verschiedensten Banken und mit der Wirtschaftskammer diskutiert. Es hat sich herauskristallisiert, dass es im Moment keine Lösung dafür gibt, wie der Netzausbau finanziert werden kann.

Das ist für viele Netzbetreiber in Österreich ein Riesenproblem. Also entweder wird es eine Form von Bundeshaftungen geben müssen, damit die Banken die Weiterentwicklung der regionalen Stromnetze finanzieren. Oder die Banken müssten ihre derzeit eingefahrene Meinung aufgeben, dass Netz-Investitionen nur mit Besicherung funktionieren.

SBC: Verstehe ich das richtig? Die APG baut die großen überregionalen Leitungen, und übergibt dann an die regionalen Stromversorger – wie sie einer sind. Während die APG sich nun die Finanzierung dieser übergeordneten Leitungen erkämpft hat, ist der regionale Ausbau direkt zu den Einspeisern und EndkonsumentInnen noch nicht finanziert?

Zehetner: Ja, am Ende des Tages geht es ja darum. Natürlich gehört der Backbone, das übergeordnete Netz, auch entsprechend aufgestellt, aber ich muss auch das Netz vor Ort ertüchtigen. Wir als Verteilnetzbetreiber müssen von der Trafostation bis zu den Verteilerkästen und dann zu den Häusern selbst die Netze verstärken, erweitern und ertüchtigen. 

Dass es in Österreich über 100 Netzbetreiber gibt, das wissen viele Menschen gar nicht. Neben den klassischen Landes- und städtischen Betreibern gibt es auch sehr viele kleine Unternehmen wie uns. Und bei den vielen kleinen Netzbetreibern gibt es im Moment ein großes Finanzierungsproblem. 

Wenn man das nicht in den nächsten ein bis maximal 2 Jahren löst, dann wird der Stromnetzausbau im Moment einfach auch zum Stehen kommen. Doch dann geht die Energiewende nicht mehr weiter.

Daher zusammenfassend zwei Maßnahmen, die uns helfen: Zum einen die Verlagerung von der Erzeugungsförderung hin zu Speicherförderungen, und das zweite Thema wäre die notwendige Klarheit für die Finanzierung des Stromnetzausbaus. Am Ende des Tages wird es einer Gesamtstrategie bedürfen, die nicht nur festlegt, wie viele Kraftwerke es im Jahr 2030, 2040 geben wird. Sondern die auch festlegt, wie die regionalen Netzwerke mitbedacht werden und wie hoch der Finanzierungsbedarf für die Weiterentwicklung ist.

Dann erst kann es eine Berechnung der Gesamtkosten geben, die ja von uns allen bezahlt werden. Am Ende des Tages ist das auch eine Frage der sozialen Verträglichkeit der Energiewende.

SBC: Der kürzlich vorgestellte Netzinfrastrukturplan ÖNIP regelt also nur die Weiterentwicklung auf Bundesebene?

Zehetner: Ja, der ÖNIP regelt die Entwicklung des Energienetzes auf Landes- und Bundesebene, also eine Ebene über uns. Diese Planungen sind völlig in Ordnung, aber dennoch fehlt es aktuell an einem Gesamtplan, der auch die Regionen miteinbezieht.

Man muss sich die Energiewirtschaft aktuell wie ein Zwitterwesen aus staatlicher Regulierung und freiem Markt vorstellen. Auf der einen Seite möchte der Staat immer viel vorgeben, auf der anderen Seite möchte er aber Marktwirtschaft und Wettbewerb. Das passt aber grundlegend nicht gut zusammen, und es gibt natürlich immer wieder Widersprüche in dem ganzen System. Es wäre zum Beispiel schon mal gut, eine klarere Festlegung zu treffen: Möchte ich staatlich das Thema Energiewende kontrollieren und steuern oder möchte ich, dass marktwirtschaftlich agiert wird. Aber die Kombination der beiden Konzepte ist nicht machbar.

>> Man muss sich die Energiewirtschaft aktuell wie ein Zwitterwesen aus staatlicher Regulierung und freiem Markt vorstellen. Auf der einen Seite möchte der Staat immer viel vorgeben, auf der anderen Seite möchte er aber Marktwirtschaft und Wettbewerb. Das passt aber grundlegend nicht gut zusammen. <<

SBC: Was möchten Sie Endkonsumentinnen und Endkonsumenten mitgeben?

Zehetner: Vor zwei Jahren war das Interesse der Bevölkerung an Energie sehr hoch, das ist mit der gefühlten Stabilisierung der Versorgungslage wieder stark abgeflaut. Das ist sehr schade, denn die Energiewende ist noch lange nicht geschafft.  Wir haben oft das Gefühl, die Medien und die Politik gaukeln uns – der Bevölkerung – etwas vor.

Etwa wenn wir lesen, dass wir uns in irgendeinem Monat mit erneuerbarer Energie selbst versorgt haben. Das ist nicht wahr, weil wir uns lediglich bilanziell über einen Monat versorgt haben. Bedeutet: Wir haben zu gewissen Stunden viel mehr Strom produziert, als wir gebraucht und genutzt haben. Aber dennoch haben wir Importe und Gaskraftwerke gebraucht, um uns zu jeder Stunde zu versorgen und das Netz auch dann stabil zu halten, wenn die Sonne nicht scheint.

Auch beim Thema Wasserstoff könnte man glauben, dass dieser schon Teil der Versorgung, des Systems ist. Die Realität sieht aber anders aus, da gibt es bis dato nur Pilotprojekte. Oder auch wenn Energieversorger sehr offensiv mit 100% heimischer Wasserkraft werben, dann entsteht der Eindruck: Wir haben schöne Kraftwerke, die produzieren guten Strom und der kommt schön aus der Steckdose. Wir sind alle total unabhängig. Aber die Realität ist eine ganz andere: Bilanzielle Betrachtungsweisen bringen uns nicht weiter, das funktioniert bei Strom einfach nicht. Wir alle hängen in internationalen Märkten, vom kleinen Unternehmen wie wir es sind bis hin zum größten Energieversorger. Das kann man sich gar nicht aussuchen.

Weiters hat die Energiewende viele Facetten, und es geht nicht nur darum, Kraftwerke zu bauen. Auch der Energieverbrauch ist Teil dieser Wende, das Verbrauchsverhalten zu kennen. Nur wenn wir Energie einsparen, wird sie schaffbar sein.

Und ich denke, auch darüber sollte die Bevölkerung besser aufgeklärt werden. Wir sollten ehrlicher und transparenter werden.

Vielen Dank für das Interview!

Mehr zu KWG Kraftwerk Glatzing-Rüstorf unter kwg.at

Anmerkung der Redaktion: Volatile und sinkende Strompreise sind auch in Deutschland eine Herausforderung: Dort droht wegen gesunkener Strompreise eine Milliardenlücke im Klimafonds. Je niedriger der Preis im Großhandel, desto mehr Mittel muss der deutsche Staat für die Einspeisevergütungen aufbringen, die Betreiber älterer Windräder und Solaranlagen garantiert erhalten. Die Ausgaben könnten sich auf etwa 20 Milliarden erhöhen.

Aktuelle Entwicklung: In einem Initiativantrag hat die österreichische Bundesregierung am ein Sondergesetz eingebracht, das für niedrigere Preise am Energiemarkt sorgen soll. Dieses soll noch vor der Sommerpause beschlossen werden. Ziel, so Justizministerin Alma Zadic, sei es, „potentiellen Machtmissbrauch marktbeherrschender Energieversorgungsunternehmen zu verhindern.“ Die Branche warnt: „Man müsste wahrscheinlich sehr tief in die Unternehmen hineinschauen“, um festzustellen, ob die jeweilige Preisgestaltung gerechtfertigt ist, so Christian Zwittnig, Pressesprecher von Österreichs Energie zum „Kurier“.  (Red: Anja Herberth)

Anja Herberth
Author: Anja Herberth

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