Studie zu Wärmewende in Dörfern: Was Projekte zum Erfolg führt

Welche Technologien für Heizung & Warmwasser gibt es, und auf welche sollte ein Dorf, eine Region setzen? Die Kurzstudie „Wärmewende auf dem Dorf“ von Scientists for Future analysierte den Markt alternativer Wärmequellen und zeigt die Grenzen und Mythen alternativer Heizsysteme auf. Gleichzeitig hinterfragt sie, wie die Wärmewende bezahlbar wird.

Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern und das Hinwenden zu nachhaltigen Alternativen ist global zu beobachten – und wird lokal umgesetzt. War Energieproduktion in der Vergangenheit oft in großem Maßstab von einigen wenigen Betreibern geplant und umgesetzt, ändert sich das nun: Die Energiewende bedeutet eine Dezentralisierung und viel lokalere Energieproduktion. Gleichzeitig werden die Themen Energiesicherheit und bezahlbare Energie angesichts volatiler Märkte, steigender Kosten, sinkender Konkurrenzfähigkeit und generell hoher Lebenserhaltungskosten für Familien wie für Unternehmen immer wichtiger.

Hinzu kommt der rechtliche Druck – etwa in Deutschland: Mit dem Wärmeplanungsgesetz brauchen große Kommunen bis Mitte 2026, kleinere bis Mitte 2028, einen Wärmeplan. Dieser soll nicht nur erfassen, wer wo Wärme verbraucht, sondern auch woher diese Wärme von möglichst nachhaltigen Quellen kommen soll.

In diesem Zusammenhang braucht es Orientierung: Welche Technologien gibt es, und auf welche sollte ein Dorf, eine Region setzen? Die Kurzstudie „Wärmewende auf dem Dorf“ von Scientists for Future analysierte den Markt alternativer Wärmequellen und zeigt die Grenzen und Mythen alternativer Heizsysteme auf. Gleichzeitig hinterfragt sie, wie die Wärmewende bezahlbar wird.

Im Interview: Dr. Jens Clausen von Scientists for Future, Leitautor der Studie.

Aktiv werden – aber wie?

Bis dato wird Wärme oft mit Verbrennen verbunden – wir verbrennen Holz, Kohle, Gas, Erdöl. Im Sinne einer nachhaltigen Lösung geht es nun um die Weiterentwicklung in Richtung verbrennungsfreie und verbrennungsarme Wärme, wie Dr. Clausen erklärt. Man kann Flüssen und Böden Wärme entnehmen, Solarwärme sammeln. Die Orientierung für EntscheiderInnen ist schwer: „Die Kommunen werden zu Wärmeplänen gedrängt, ab etwa 2040 wird die Erdgasversorgung auslaufen. Ab 2027, wenn der CO2-Handel auch für Brennstoffe marktgetrieben agiert, werden diese teuer werden“, erklärt Dr. Clausen. Handeln ist wichtig – aber wie eine Entscheidung treffen?

Auf Grund der steten Entwicklung der Technologien und der Transformation vom fossilen zum regenerativen Energiesystem ist die Orientierung an alten Erfahrungen nicht sinnvoll. Es ist nicht so einfach, den Überblick über die sich entwickelnden Möglichkeiten am Markt zu behalten und die richtige Technologie zu wählen. „Wir erhielten mehrere Anfragen von Dörfern, die um Ratschläge baten. Das war die Motivation für uns, einmal aufzuschreiben, was alles möglich ist“, erklärt der Forscher den Grund für diese zusammenfassende Kurzstudie.

Gleichzeitig mit dem rechtlichen Druck nimmt das Lobbying von Sektoren und Fachverbänden zu, wie Dr. Clausen bestätigt: „In den letzten 25 Jahren sind etwa 200 Bioenergiedörfer in Deutschland entstanden. Und es gibt Akteure aus der Landwirtschaft und der Holzwirtschaft, die Stimmung für Bioenergiedörfer machen.“ Biogas ist jedoch teuer und hochsubventioniert, sofern es überhaupt existiert. Dafür braucht es Intensivlandwirtschaft und verglichen mit Photovoltaik produziert ein Maisfeld nur wenig Energie. Heißt übersetzt: PV bringt auf der gleichen Fläche 40x mehr Energie als z.B. Mais. Biogas ist daher hochgradig ineffizient: „Wir sparen enorm an Fläche, wenn wir über den elektrischen Weg gehen.“

Das bestätigt auch eine aktuelle Fraunhofer-Studie zu den sogenannten Stromgestehungskosten. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) berechnet für Deutschland seit 2010 in regelmäßigen Abständen die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde Strom, und untersucht zum ersten Mal auch die Kosten für Agri-Photovoltaik. PV-Freiflächenanlagen und Onshore-Windenergieanlagen sehen der Studie zufolge mit Kosten von 4,1 bis 9,2 Cent pro Kilowattstunde am besten aus. Für Biogas liegen die Gestehungskosten zwischen 20,2 und 32,5 Cent, bei fester Biomasse bei 11,5 bis 23,5 Cent pro Kilowattstunde. Dr. Christoph Kost, Abteilungsleiter für Energiesystemanalyse am Fraunhofer ISE: „Diese Berechnungen zeigen, dass die in Deutschland gerade anlaufenden Großprojekte mit einer Kombination aus PV-Freiflächenanlage, Windpark und stationären Batteriespeichern gute Investitionen sind.“

Stromgestehungskosten für erneuerbare Energien und konventionelle Kraftwerke an Standorten in Deutschland im Jahr 2024, Quelle: Fraunhofer ISE
Newsletter abonnieren

Herausforderung Dunkelflaute

Bleibt eine große Herausforderung: Und zwar die der Spitzenlast. Im Sommer ist die Belastung und der Absatz für die Wärmenetze sehr klein, weil die Heizungen kalt bleiben. Es braucht Warmwasser für die BürgerInnen, falls vorhanden sind nur energie- und wärmeintensiv arbeitende Unternehmen Abnehmer. Aber dann folgen ab November bis März Tage im Winter, in denen es sehr kalt ist und ein Dorf nicht ein Megawatt, sondern vielleicht zwei Megawatt Heizleistung verbraucht. Wird beispielsweise eine Großwärmepumpe für ein Dorf bis ca. 0 Grad Celsius Außentemperatur ausgelegt, dann braucht es laut Clausen eine weitere Lösung für kältere Tage. Eine die über die Leistung der Wärmepumpe hinaus zusätzliche Leistung bereitstellt.

Die Alternativen? Die akademische Antwort: Es kommt darauf an. Wasserstoff wird sehr teuer und vermutlich auch kaum verfügbar sein. Gibt es bereits Biogasanlagen in der Region, macht Biogas Sinn, wenn es in größerer Menge gespeichert werden kann. In waldreichen Gebieten heißt die logische Spitzenlast Holz. Der Nachteil an Holz so Clausen: „Der Wald ist auf Grund des klimabedingten Waldsterbens in Deutschland bereits an vielen Stellen heftig ausgedünnt.“ Ebenso sind hier die schwankenden, mit steigendem Verbrauch und bei knapper Verfügbarkeit tendenziell steigenden Marktpreise zu bedenken.

Auch macht die Überlegung Sinn, mehrere Dörfer, eine Region, zu koordinieren und die Kosten für die Konzeption und Planung einer neuen Wärmelösung zu teilen – anstatt pro Dorf eine eigene Lösung aufzubauen. „In der Region sind Ähnlichkeiten der Baukultur wahrscheinlich, entlang von Flussläufen oder in großen Waldgebieten sind auch die Wärmepotenziale ähnlich“ erklärt Clausen. Dabei ist die Politik ein wichtiger Player, Treiber oder auch mal Bremser dieser Projekte.

Qualität in der Beratung: Wächst mit dem Markt

Stellt sich die Frage nach der Beratung in diesen Projekten. „Als die Debatte zum Wärmeplanungsgesetz losging, gab es in Deutschland plötzlich ganz viele Unternehmen, die Wärmepläne anbieten und erarbeiten“, so Clausen. Die Beratungsstrukturen entwickelten sich rund um das zu erwartende Wärmewende-Business. Stellt sich die Frage nach der Qualität dieser Beratung mit Blick auf die Umsetzung: „Fern- und Nahwärmekonzepte für kleine Dörfer sind immer noch in der Innovationsphase.“ Die Beratung und die Qualität entwickelt sich also mit der Wärmewende. Und: „Wer eine schlechte Qualität bietet, wird wieder aus dem Markt herauskippen.“

Bleibt noch die Ebene der Gerätehersteller: Es fehlen für viele Lösungen ausreichende Produktionsstrukturen. Steigt der Bedarf an Großwärmepumpen, müssen auch die Produzenten ihre Produktion hochfahren – und das braucht Zeit. Die Energiewende ist für Unternehmen aber auch eine Chance auf Vergrößerung der Wertschöpfungskette. Auch andere Sektoren profitieren davon, so Clausen: „Unternehmen wie Viessmann treten heute als Generalunternehmer auf. Sie übernehmen das gesamte Projekt zur Verlegung des Wärmenetzes. Die Dörfer verhandeln dann nicht mit vielen Unternehmen, sondern haben nur einen Ansprechpartner.“

Nationaler Klimaplan: So will Österreich seinen CO2-Fußabdruck um fast die Hälfte reduzieren

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler stellte den österreichischen Energie- und Klimaplan (NEKP) vor und wird ihn nun an die EU-Kommission übermitteln. Es ist der bereits zweite Versuch einer Einreichung: Erst im Dezember 2023 sandte Ministerin Gewessler einen Entwurf nach Brüssel, der jedoch seitens Europaministerin Caroline Edtstadler (ÖVP) zurückgezogen wurde.

Weiterlesen »

Was lokale Projekte zum Erfolg bringt

Die Dörfer gehen mit diesen Projekten neue Wege. Was führt diese Projekte also zum Erfolg? Grundsätzlich sind, so Clausen, für vier Bereiche Lösungen auszuarbeiten: Für die technische Lösung, die Genehmigungen, die Kundengewinnung und es muss ein Träger des zukünftigen Wärmenetzes gefunden oder gar gegründet werden. Er warnt: „Es braucht Lösungen für alle vier Bereiche, sonst kommt keine Wärme aus der Leitung.“ Und in diesen vier Bereichen gibt es mehrere Zielgruppen zu überzeugen: „Ich kann ja nicht einfach zu bauen beginnen, sondern brauche Bewilligungen. Und wenn ich dann den Behörden sage, dass ich Wärme aus dem Fluss entnehme, werden sie mich fragend ansehen. Davon haben sie oft noch nicht gehört. Besonders erfreulich ist es dann, wenn Genehmigungsbehörden kooperieren und mit den Antragstellern gemeinsam überlegen, wie es gehen könnte“, so der Forscher.

Im weiteren Schritt braucht es Personen, die sich darum kümmern, die BürgerInnen in das Projekt mitnehmen: Denn es gilt, auch KundInnen für das Projekt zu finden. Clausen: „Am besten ist es, wenn in den Orten 70-80% der Bürgerinnen und Bürger von der Lösung überzeugt sind und sich an das Netz anschließen. Dann lohnt sich auch der Netzbau.“

Dr. Jens Clausen, Fotocredit: Tom Deutschmann

Über Dr. Jens Clausen

Dr. Jens Clausen ist Mitgründer des Borderstep Instituts und Vorstandsmitglied des Vereins Scientists for Future e.V. Der Diplomingenieur für Maschinenbau leitet als Senior Researcher das Borderstep Büro Hannover. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit Gründungs-, Innovations- und Transformationsforschung. Sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt den Themen Wärme, Elektromobilität und Digitalisierung.

Als weitere AutorInnen haben Dr. Michael Huber, Helge Ehrhardt und Prof. Dr. Ulrike Jordan mitgewirkt.

Mehr zu unserem Interviewpartner Dr. Jens Clausen finden Sie hier

Zur Kurzstudie „Wärmewende auf dem Dorf“

Die Kurzstudie bietet eine umfassende Analyse neuer Ansätze zur Erreichung des Übergangs von der rein fossilen Wärme hin zu nachhaltigen, innovativen Lösungen in Dörfern. Sie geht sehr detailliert auf die unterschiedlichen Möglichkeiten ein und geht auch auf Mythen ein. So erklärt sie, warum Biogas und Holzheizungen als einzige Wärmequelle heute kaum noch Sinn ergeben.

Die Wärmewende erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der technologische Innovation, Infrastrukturentwicklung und kommunales Engagement in Einklang bringt. Neben der umweltfreundlichen Gestaltung sind auch Energiesicherheit und Zuverlässigkeit sowie die Leistbarkeit zu berücksichtigen.

Beispiele aus der Analyse:

  • Grüne Gase: Biogas, Biomethan und Wasserstoff als Alternativen zu Erdgas können zwar die bestehende Gasinfrastruktur nutzen, stellen aber in der Produktion und Skalierbarkeit eine Herausforderung dar. Für die Produktion von Biogas werden beispielsweise große landwirtschaftliche Flächen benötigt, PV-Anlagen sind im Vergleich 40mal effizienter.
  • Heizen mit Holz: Holz und seine Derivate (Pellets, Holzschnitzel) sind traditionelle erneuerbare Wärmequellen. Die Nachhaltigkeit von Holzheizungen in großem Maßstab ist jedoch aufgrund der steigenden Nachfrage und des schwindenden Zustands der Wälder fraglich. Holzheizungen sollten auf Regionen mit reichlichen Waldressourcen beschränkt werden – und man sollte sich nicht zu sehr auf sie verlassen, da es zu Engpässen und volatilen, tendenziell steigenden Preisen kommen könnte.
  • Wärmepumpen, insbesondere in Kombination mit erneuerbaren Stromquellen, sind eine praktikable und effiziente Methode zur Beheizung von Gebäuden. Flusswasser- und Luftwärmepumpen verringern die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen erheblich, ihre Effektivität steigt mit der Energieeffizienz der von ihnen versorgten Gebäude an. Ein gesamtes Kapitel ist den Gebäuderenovierungen und der Dämmung gewidmet.
  • Warme vs. kalte Fernwärme-Netze: In der Analyse wird zwischen warmen (Mitteltemperatur-) und kalten (Niedertemperatur-) Fernwärmenetzen unterschieden. Warme Netze sind besser für bestehende Gebäude geeignet und können verschiedene Wärmequellen nutzen, darunter etwa Solarthermie und Biomasse. Kalte Netze, die mit niedrigeren Temperaturen arbeiten, sind effizient für Neubauten.
  • Erfolgreiche Umstellungsprojekte beruhen oft auf der Beteiligung der Gemeinschaft und dem lokalen wirtschaftlichen Nutzen. Energiegenossenschaften und lokale Versorgungsunternehmen können eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und Verwaltung nachhaltiger Wärmeprojekte spielen. Für den langfristigen Erfolg dieser Initiativen ist es von entscheidender Bedeutung, dass eine breite gesellschaftliche Akzeptanz gewährleistet ist und wirtschaftliche Belange berücksichtigt werden.

Mehr zur Analyse finden Sie hier:  https://de.scientists4future.org/waermewende-auf-dem-dorf/

Mehr zur Fraunhofer-Studie zu den Stromgestehungskosten finden Sie hier.

Anja Herberth
Author: Anja Herberth

Artikel teilen
Kommentar hinterlassen